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 Wie aber gibt es Heilung für die Schmerzen? „Schmerz, du wirst mich nie dazu verleiten, zu sagen, daß du ein Uebel bist“, so redet alte Philosophie. Ein starkes und doch ein weichliches Wort: denn in der Illusion ruht nicht die Heilung und Täuschung erschlafft ohne wirklich zu trösten. Alles Nichtseinsollende ist ein Leid und muß als solches erfaßt werden, damit es stärke, denn auch die Erkenntnis des Verdienten befreit und die Erfassung des Leides als des verschuldeten stärkt. Wem der Schmerz zum Genuß und die Selbstbemitleidung zur Freude wird, also daß er in der Finsternis schwelgt und den Pessimismus zur Lebensweisheit erhebt, der doch das Leben entleert und entehrt, hat Ziel und Zweck des Daseins verkannt, das durch Schuld und Last zur Freiheit gelangen soll. Der schmückt sich leicht mit Ergebung, der alles Schwere und Trübe als die Bestimmung des Lebens ansieht, wie denn leicht Genußmenschen Pessimisten werden und diese Genußmenschen sind. Man erhebt die Verzerrung des Bildes zum Bilde selbst und die Disharmonie zur Dominante. Aber eine Stunde zerreißt den Nebelflor, den man über Schuld und Strafe warf. Dadurch wird das Leid nicht beseitigt, daß man ihm schmeichelt und das Uebel nicht aus der Welt dadurch getan, daß man sich daran gewöhnt. Schließlich begegnen sich die scheinbar tiefgrabenden Glücksverneiner und Leidbejaher mit den auf der Oberfläche haftenden Leichtlebigen und Lebenskünstlern, die vor den Irrenhäusern und Krankenhäusern, den Zuchthäusern und furchtbaren Tiefen des Abgrundes die Augen schließen, wie die Kinder im Finstern, um sagen zu können, daß sie sich nicht fürchten. Einer ihrer Poeten erklärt „die Rose als das Symbolum, dran eine neue Menschheit glaubt“ (Robert Prutz 1864), wobei hoffentlich an die dornenlose Rose gedacht ist, und ein anderer (Gottfried Keller) meint:

Ich fahre auf dem klaren Strome,
Er rinnt mir kühlend durch die Hand,
Ich schau hinauf zum blauen Dome
Und such kein bessres Vaterland.

Schön gesagt, wobei vorausgesetzt ist, daß der Strom immer klar ist, seine ruhig fließenden Wasser immer kühlen, der Dom des Himmels immer blaut. Wie aber dann, wenn das Meer wütet und wallt und der Himmel ehern ist, wenn die Angst der Welt anschwillt und die Herberge böse und bitter

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Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/8&oldid=- (Version vom 10.11.2016)