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Täuschung und das Streben, dessen der Mensch sich trotz der Erfolglosigkeit nicht begeben kann, Verkehrtheit sei. Man müht sich, aber die Schatten spotten der Arbeit, die den Lebenstag währt und am Abend zerrinnt, und die Frage, ob überhaupt Arbeit war, was wir so nannten, will das letzte Erdengut rauben, das mit der Pflicht als Recht beschert ward. Tiefste Denker sind die beredesten Herolde vom Leide: omnes philosophi sunt melancholici. Durch die Herrlichkeit des glänzenden Griechenvolks klingt die schwermütige Klage von seinen sonnigen Anfängen bis zu dem trüben Ausgange seiner Geschichte, wie schwer das Menschenlos sei, das nie gesehen zu haben das beste Schicksal wäre, Schatten und Rauch, Schein und Täuschung sind seine Größen, die Freundschaft ist Trug, die Arbeit Not, der Tod ein Erlöser, aber das Todeslos ein unnützes Leben ohne Erinnerung und ohne Ertrag: Der ärmste Mann auf Erden ist noch besser geführt und glücklicher als der König im Reich der Schatten. Nicht sterben können ist der Leiden größtes. Was ist das Leben? Eine Rauchwolke, in der eine Sonne vielleicht sich spiegelt, oder auf die ein finsterer Himmel drückt: beidemale vergeht sie ohne Kraft. Am Ausgang des alten Roms mit dem Ernste seines Pflichtbegriffs und der Energie seiner Arbeit steht der größte Geschichtsschreiber mit dem Griffel, den die Wahrheit lieh und die Lauterkeit führte: Wir sind gleich unfähig, die Leiden und die Heilmittel gegen sie zu ertragen, wir stürzen alle in Hörigkeit und Knechtschaft. Der Zeitgeist heißt Lüge und die Verstellung ist Kunst. Der Rückblick in die Vergangenheit wird dem zur Qual, der aus ihr nicht mehr Kraft für die Zukunft holen kann, weil die Gegenwart nimmer lernen mag noch zu leben versteht. Durch die schönsten Länder der Welt wandert, an den herrlichsten Gestaden des Meeres weilt ein Mann mit offenem Auge für alles Große, aber auch mit einem für Leid und Schmerz erschlossenen Ohr, vernimmt das Seufzen der Schöpfung über ihre Zerstörung und das stille Weinen der Sterne, die bange Frage nach dem Frieden und den bitteren Verzicht auf ihn, und in die Klage der Erde mengt er die eigene über Menschenelend und Todesleib, über die Konflikte von Neigung und Gewöhnung. Er versteht die sehnsuchtsvolle Klage nach Welterlösung, denn er teilt sie. – Am Eingang der griechischen Geschichte steht der jugendliche Held, am Ausgang sein Nachahmer, Achilles und Alexander, beide sinken in der Kraft der Jugend dahin mit dem Schmerze über

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Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/4&oldid=- (Version vom 10.11.2016)