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Unreinheit in Wort und Wesen liebkost wird. Am Marke der Völker nagt ein geiler Wurm, Genußsucht und Begehrlichkeit, und durch die Adern der Volkesseele rinnt das wilde, heiße Blut der Meisterlosigkeit und des Trotzes gegen alles, was Gebot und Gewalt, Ordnung und Sitte heißt. Es ist, als ob der Tod das letzte Wort behalten sollte und dürfte, bis schließlich auch der Lebensquell versiegt.

 Aber Jesus Christus hat dem Tode die Macht genommen, als er unter alle Todesgestalten und -gewalten sich willig untergab, in Gottesfernen, wo kein Vaterwort ihn erreichte, in Sündentiefen, wo kein Strahl der Sonne ihn traf, sich gehorsam beschied. Das Leben ward tot, und der Tod hatte darüber seinen Spott. Wie Triumph und Sieg ging es durch alle feindlichen Reihen, daß nun der Stärkste tot war. Aber Ostern ist nicht ferne. Das Leben muß den Sieg aus dem Tode, die Lichteskraft aus der Nacht heraufführen. „Ich war tot.“ Welch ein Wort aus des Lebendigen Munde. „Siehe, Ich bin lebendig geworden.“ Welch ein Wunder – eines Toten Rede! Aber die Seele weiß fortan, daß all ihrer Fragen Lösung Erlösung heißt und daß ihr Erlöser lebt, nicht in schwächlicher Fristung eines mühsam erhaltenen, kaum des Namens werten Lebens, sondern in der Vollkraft erhöhter Majestät und in der Fülle aller Entfaltung der Lebensgabe. Wo Leben dem Tode trotzt, Wahrheit ihr Haupt erhebt, das Recht das letzte Wort behauptet und behält, da ist Jesus, der die Welt überwindet nicht durch die Wunder, sondern durch Seine Wunderbarkeit. Denn der tausendmal Totgeglaubte, Totgesagte, dem jedes Jahrhundert grübelnd und grabend die letzte Stätte bereitete, den sie bald mit Spott bedeckten, bald mit Scharfsinn in ein Nichts auflösten, lebt und regiert in Ewigkeit. Er regiert auch über die Sünde, die zu jedem guten Werk als dessen Verkehrung sich gesellt, den Sparsamen mit dem Geize, den Fröhlichen mit dem Leichtsinn, den Demütigen mit Charakterlosigkeit, den Arbeitsamen mit dem Mangel an Innerlichkeit gefährdet und jedes heilige Tun mit einem scheinbar wesensverwandten bekämpft.

 Aber die Gnade, die alle Gerichtsrechte entwaffnet und alle Fluchmächte versöhnt hat, ist die einzige Großmacht des Lebens geworden, eine Großmacht, die stille erobert, langsam erreicht, aber endlich alles gewinnt und den Sieg behält. Denn in ihr ist der Herr aller Dinge, die er geschaffen

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Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/11&oldid=- (Version vom 10.11.2016)