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welche nicht wissen, daß die Heiligung Vermählung aller gottgeschenkten Kräfte und Potenzen mit der Gottesbestimmtheit ist, sondern welche alles Natürliche ausscheiden, damit sie ganz geistlich werden mögen. Das sind diese fleischlosen Gestalten, wie sie uns Maler am Anfang des 19. Jahrhunderts mit ihrem frommen Pinsel gemalt haben, mit denen sie unsere Kirchenwände entkräfteten und unsern evangelischen Geschmack verweichlichten, jene entnervten Apostelgestalten, jene kraftlosen Christusfiguren, als ob die Christen nicht erst recht anhöben Menschen zu sein. Augustin legt alles hin und wird Mönch mit ganzer Bestimmtheit seiner Seele. Und der Bischof von Hippo Regius, der 35 Jahre lang in hoher Ehre das Bischofsamt verwaltete, wird der Mönch mit dem engen Gesichtskreis. Seine heidnischen Bücher fallen dahin, und all das Schöne der Erde ist bloß dazu da, um vergessen und verlassen zu werden.

 Luther schlägt den ersten Teil des Römerbriefs auf, schwer geängstet nicht über seine Sünde, sondern über seine Schuld steht er im Kloster. Augustin ist durch einzelne ganz bestimmte Sünden seines Lebens verängstet und verwirrt, dort das Weib, das er entlassen muß, hier der Sohn, der noch im Sterben den Vater anklagt, dort die Stätte all der schnöden Lüste mit seinen Genossen, und die Tränen der Mutter, die er getäuscht, als er nach Italien floh, während sie betend im Heiligtum des Cyprian auf ihn wartete. Es sind lauter peccata singularia, ganz bestimmte einzelne Sünde und Unrecht, die Augustin so entgegentritt. Bei Luther ist dergleichen nicht, aber auf harter bloßer Diele liegt der arme Mönch, „mea culpa, mea maxima culpa“, gequält von der großen Schuld seines Lebens.

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Hermann von Bezzel: Luther und Augustin. Verlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1912, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Luther_und_Augustin.pdf/13&oldid=- (Version vom 9.10.2016)