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der metaphysischen Überweltlichkeit, der Fürweltlichkeit und Weltüberdauer die kritische Frage restlos zu Ende geführt hätte, so würde das Bündnis eines schillernden Ästhetizismus und des zerteilenden Positivismus unserem Kirchenvolk den Träger seiner Geschichte, den Ursächer seines Heils, damit auch das spezifische Recht auf das Sein und das Sosein geraubt und entzogen haben, und lediglich als eine Etappe auf dem Wege der Evolution bliebe die christliche Kirche in Erinnerungen stehen ohne noch Vermittlerin lebenskräftiger Heilswerte an die Welt zu sein.

 1864 schien ein annus funestus für den alten Christenglauben zu werden, die Klagen über Zunahme des Abfalls, über die Stärke der Gottentfremdung nahmen zu, das Weh über eine von dem Einfluß der Kirche und dem Dienst an ihr und ihrer Jugend sich entziehende Lehrerwelt und über die entchristlichte Kultur wollte nimmer verstummen. – Aber bei all dem Schweren und Nächtigen, das jetzt am Himmel steht, so viel wissen die von dem heiligen Gottesgeist und den die Geschichtsläufte durchwirkenden und ihnen einwohnenden Potenzen des heilsamen Fortschrittes Überzeugten, daß in den letzten fünfzig Jahren viel Morsches und Mürbes zerfallen, die christliche Phrase zerstoben und die bekenntnisgemäße Gewohnheit des Bekennens nahe an ihrem Ende ist. Die Mächte der Feindschaft und der Zerstörung haben das Echte nur erprobt, nicht zerstört. Was sie zerstörten, war Peripherisches, das dem Zentralen Licht und Luft wegnahm, und was sie entführten, war nicht vollkerniger Weizen, sondern Hülsen und Spreu. Von Renan sagt Saint Beuve: il a vu les croyances de son temps et il a publié son livre. Die croyances sind geblieben, gesteigert und gewachsen, das Buch ist vergessen. Wer heutzutage Renan kopieren wollte, würde kaum mehr einen Verleger finden. Die modernistische Ästhetik verlangt nach Konkretem und der Kritizismus unserer Zeit läßt sich nicht an der Leugnung der Wunder aus philosophischen Voraussetzungen oder aus ihrer Unbeweisbarkeit genügen noch an der Anzweiflung der und jener Selbstaussage Christi, sondern löst das Gesamtbild auf, um aus den Resten ein Neues zu schaffen, für die alte Messiasidee einen ihr kongruenteren Träger, für die Fülle der Gedanken ein sie besser ausprägendes Individuum.

 Wenn mit diesen Strichen die Zeit nicht ganz unrichtig gezeichnet ist, so mag die Arbeit der Inneren Mission, deren Blühen und Gedeihen

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Grund, Kraft und Ziel der Inneren Mission. Buchhandlung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Neuendettelsau ca. 1914, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Grund,_Kraft_und_Ziel_der_Inneren_Mission.pdf/6&oldid=- (Version vom 17.1.2018)