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gibt zu denken, daß manche Leugner der Gottheit Christi, wie sie die Kirche gläubig erfaßt und bekennt, persönlich fromm sind. – Nicht der Ichchristus, nicht das „Mir ist so“! – sondern der wahre, kirchliche Christus und – „es stehet geschrieben!“ –

 So hoch wir denken müssen von den Einflüssen des seligen Beck in Tübingen und der ganzen neutübinger (biblischen) Schule, so wohl es einem Christenmenschen werden kann in der Umgebung dieser wahrhaft frommen Männer, so ernst muß man der von dort kommenden Gefahr entgegensetzen und fürchten, daß das Werk unsers Herrn, die heilige Kirche, unterschätzt werde.

 Die Ausläufer des Pietismus sind der Rationalismus alten und neuen Datums, so sehr auch letzterer seine Mutter bekämpft, jene Werkerei, welche auf die Lehre nicht mehr sieht und in den vielverzweigten und -geteilten Werken der „Inneren Mission“, die er in Beschlag nehmen möchte, Union gefährlichster Art vorzubereiten beanlagt ist. Der Pietismus hat nicht die Kraft der Abwehr gehabt gegen falsche Elemente, falsche Brüder, untreue, ungeordnete, ungebundene und ungezüchtete Geister: in seiner Mitte sind üppige Bewegungen geduldet worden. Es ist sehr bedeutsam, daß er nicht imstande war, das Amt „den Dienst“ der Barmherzigkeit zu gründen, obgleich er so sehr auf liebende Nachfolge Jesu drang. – Er hat nur in seiner Betonung des Lebens Großes getan; die Welt jedoch hatte den Eindruck, daß alle diese Werke zu sehr an einzelne Personen gebunden waren, daß die großen Schöpfungen zu sehr auf einzelne Persönlichkeiten zeigten. – Als nun, durch Stimmen aus England hauptsächlich wachgerufen (Mitte des 18. Jahrhunderts), der Rationalismus sich anschickte, unsere Kirche ihres teuersten Kleinodes zu berauben, ihr die Lehre von der „freien Gnade“ ganz zu entwenden und gepaart mit französischem Libertinismus sie wieder in die römischen, humanistisch heidnischen Irrtümer zurückzuwerfen, da hat sich der Herr um des Gebetes willen Seiner Knechte gnädig Seiner Kirche angenommen; denn wir dürfen