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Da hätt’ ich doch gesehn, ob sie mich leiden kann!
O, Hans! wie blöd bist du, kaum blickest du sie an!
Hier in der stillen Nacht fühl’ ich mich wahrlich dreister,
Käm sie, so würd’ ich jetzt wohl meiner Zagheit Meister!
Ach! sie zu küssen wär ein übergroßes Glück –
Da denk’ ich gar nicht dran, wenn nur ihr sanfter Blick
Mir sagt’, ich bin dir gut – säh sie mich lächelnd an
Und reichte mir die Hand – ich glaub, ich stürbe dann!
Wie oft schon wurd’ ich krank vor Lust in süßen Träumen!
Doch, klimmt nicht hell der Mond empor ob diesen Bäumen!
Verberg ich eilig mich! – Wohin? – die alte Linde
Ist noch der einz’ge Platz, den ich recht heimlich finde,
Nicht spüren darf sie mich, ums Himmels Willen nicht,
Der Quell zeig Alles ihr, nur nicht mein Angesicht!
Versteckt, tief im Gezweig, der höchsten Angst ein Raub,
Blick’ in das Wasser ich verstohlen durch das Laub –
Da seh’ ich denn – o Schmerz – nicht werd’ ich’s überleben,
Und doch durchzuckt mein Herz ein heimlich, wonnig Beben,
Wie Hoffnung fast – ach nein! vergebens – nun, der Tod,
Der löset mich wohl bald von dieser Liebe Noth!
Ich gehe in den Krieg! und wär’s in die Türkei,
Ein tücht’ger Flintenschuß und alles ist vorbey!
Hört sie dann meinen Tod von unsern Nachbarn allen
So läßt ihr schönes Aug’ wohl eine Thräne fallen,
Sie seufzt: der arme Bursch, ich war ihm lieb und werth,
Dann ist ja Alles gut! dann bin ich hochgeehrt!
(Der Mond ist aufgegangen, Hans klettert auf die Linde und verbirgt sich, dann lauscht er durch das Laub, sieht in den Quell, und fährt zurück.)

Empfohlene Zitierweise:
Helmina von Chézy: Der neue Narziß. Lustspiel in einem Aufzug. Fleischer, Leipzig [1824], Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Helmina_von_Ch%C3%A9zy_-_Der_neue_Narzi%C3%9F.pdf/25&oldid=- (Version vom 12.9.2022)