Seite:Heft20VereinGeschichteDresden1907.djvu/87

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

könnten. Wie ganz anders wirkt da ein großes Bild, auf dem Tierstück, Landschaft und Porträt wiederum meisterhaft verschmolzen sind: ich meine den „Trompeter“. Man könnte dieses Gemälde[1] vielleicht treffender „Sammelruf im Quartier“ benennen. Im kühlen Glanz der Morgensonne liegt der Dorfplatz, im Hintergrunde von der höhergelegenen Kirche überragt. Schon beginnt das Tagewerk: die Tore der Bauernhöfe sind weit geöffnet, ein Bauer fährt mit seinem Ochsengespann aufs Feld. Die Gänse eilen zum Teiche, um ihre Morgentoilette zu machen; vom First des Hauses aus beginnen die Täubchen ihren Flug. Das Hauptinteresse konzentriert sich jedoch auf den Trompeter im Vordergrunde des Bildes. Stramm sitzt er auf seinem Schimmel, die Zügel in der Linken, die Trompete am Munde haltend. Auf seinen Ruf rüsten sich in den Höfen die einquartierten Soldaten zum Abmarsch. Eine Frau schaut nach dem schmucken Reiter zum Fenster hinaus, sogar der Hund ist herbeigekommen, um den ungewohnten Tönen zu lauschen.

Dieses Bild ist zweifellos das lieblichste, das Rayski je gemalt hat. Aber zugleich zeigt es hohe künstlerische Qualitäten. Die Komposition ist ebenso vorzüglich wie die Ausführung in den Einzelheiten. Mit der größten Liebe und Sorgfalt sind der Reiter und das Pferd ausgearbeitet. Mir will es scheinen, als sei die Hauptperson des großen Gemäldes – der Schimmel. Das weiße Fell des Tieres, vom ersten Morgenschein bestrahlt, gab einen wirkungsvollen koloristischen Kontrast gegen die bunte Landschaft ab. Wie das Pferd ruhig wartend dasteht, wie es die Ohren spitzt, das ist trefflich lebenswahr wiedergegeben.

Mancherlei konnte so Rayski auf dem Gutshofe und im Dorfe beobachten. Jedoch noch reicher waren die Eindrücke, die er bei seinen Streifzügen in Wald und Feld empfing.

Einmal überraschte er im hohen Grase wilde Kaninchen. In einem reizenden Ölbild hat er die Spannung geschildert, in die diese Tierchen durch das Nahen des Menschen versetzt werden[2]. Das vordere hält erschrocken im Lauf inne, spitzt die Ohren und wendet das Köpfchen mit den dunklen Augen dem Ankömmling zu. Das


  1. Im Besitze des Herrn Grafen A. Einsiedel in Milkel, der als Entstehungszeit „um 1874“ angab. Ich möchte das Bild früher ansetzen. S. Abbildung.
  2. Hoch 0,71 m, breit 0,61 m. Im Besitze des Herrn Grafen A. Einsiedel in Milkel
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Sigismund: Ferdinand von Rayski. i. A. des Dresdner Geschichtsvereins, Dresden 1907, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heft20VereinGeschichteDresden1907.djvu/87&oldid=- (Version vom 21.2.2024)