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psychologischer Beobachtung und Schilderung. Apart ist auch die Malweise: wie das Antlitz und das weiße Hemd, auf denen die Hauptlichter ruhen, sich von dem rotbraunen Untergrunde abheben, das erhöht die Gesamtwirkung wesentlich. In diesem Gemälde deutet sich damit zugleich die neue Richtung an, die unser Künstler in den nächsten Jahren einschlug, und durch die er uns heute als ein Bahnbrecher in der deutschen Malerei erscheint – jene Richtung, die mit der höchsten Kunst der Charakteristik einen eigenartigen Reiz der Farbengebung und -zusammenstellung verband.

Das früheste epochemachende Zeugnis dieser Bestrebung lieferte der Künstler in dem Bildnis seiner Schwester Minna Pompilia (geboren 9. Dezember 1809)[1]. Es ist das erste der drei Meisterwerke, die dem obengenannten Zeitraume entstammen, und durch die besonders Rayski sich den Anspruch auf künstlerische Anerkennung erworben hat.

Das Bild (in Hochoval) stellt die Dame lebensgroß, etwas über Kniestück, nach links gewendet, ungefähr im 30. Lebensjahre dar. Dies, wie auch die Tracht, weist auf das Jahr 1840 als Entstehungsjahr hin. Die jugendliche Gestalt sitzt auf einem weißlackierten, hellblau bezogenen Rokokolehnstuhl, bequem zurückgelehnt und den Beschauer mit liebenswürdigem Lächeln anblickend. Sie trägt ein weißes Mullkleid. Auf ihrem Schoße hält sie einen breitkrempigen weißen Strohhut mit blauen Bändern. Der Kopf ist etwas vorgeneigt, der linke Ellbogen ruht leicht auf der Armlehne des Sessels. Das Haar ist glatt gescheitelt, mit den damals beliebten hängenden Löckchen zu beiden Seiten der Stirn nach den Ohren zu. Hinter dem Stuhle und der Figur sieht man die Blätter einer Fächerpalme. Der Hintergrund ist grau. – Das Bildnis gilt mit Recht für eines der schönsten Gemälde, die Rayski überhaupt geschaffen hat. Die Ähnlichkeit soll außerordentlich sein. Die Gestalt ist anmutig, die Gesichtszüge, obgleich nicht wirklich schön, haben doch etwas Anziehendes: sie offenbaren eine nachdenkliche, hingebende Natur.

Wie schon aus der Schilderung hervorgeht, ist die Farbengebung vor allem auf zwei Töne gestimmt: auf weiß und blau. Sie charakterisieren trefflich das Duftige, Leichte und unterstützen dadurch


  1. Im Besitze des Fräulein Esther von Boxberg in Dresden.
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Ernst Sigismund: Ferdinand von Rayski. i. A. des Dresdner Geschichtsvereins, Dresden 1907, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heft20VereinGeschichteDresden1907.djvu/51&oldid=- (Version vom 16.2.2024)