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ausgespült u. geschliffen u. haben oft sehr interessante Formen. Hartung war einmal in Ahrenshoop, wo ich ihn sehr flüchtig kennenlernte. – Nun, ich machte geltend, daß bei derartigen Kunstgebilden, die nichts anderes sind als abstrakte Formen, stets ein Gefühl des Unbefriedigtseins verbleibt. Wenn solche Gegenstände klein sind, sodaß man sie auf den Tisch stellen u. leicht in die Hand nehmen kann, können sie Freude machen, denn es macht Freude, sie zur Hand zu nehmen u. die Formen abzutasten. Werden sie aber groß u. monumental gebildet, wie Hartung das tut, dann werden sie leicht quälend oder gar unheimlich, jedenfalls irgendwie unbefriedigend. Die Aufwendung an Kraft u. Material für die Darstellung solcher Dinge steht in keinem Verhältnis zu ihrem Eigenwert. Herr Thim vertrat dagegen die Ansicht, daß eben Form Form sei, ob sie nun ein Menschen oder ein Tier oder ein Baum sei. Ich wandte dagegen ein, daß das wohl für ganz abstrakte geometrische Gebilde gelte, aber nicht für solche Gebilde, welche noch irgendwie die Form u. die Erinnerung an Gegenstände bewahren, von denen sie abstrahiert wurden. Ein gleichschenkliges Dreieck bleibt ein solches, ob es nun eine momumentale Pyramide darstellt oder ein zartes Birkenblatt. Es ist unabhängig von der Dimension. Einen Menschen, ein großes Tier kann man überdimensional bilden, es kann ein Adler etwa überdimensional gebildet werden, aber nicht ein Spatz oder ein Kanarienvogel. Natürlich kann man auch das, aber dann entsteht eben das unbefriedigende Gefühl, daß da Arbeit, Mühe, Kraft u. Material verschwendet worden ist an einen nichtigen Gegenstand, obwohl doch ein Spatz durchaus nicht weniger kunstvoll gebildet ist wie ein Adler. – Und dieses Kriterium findet seine Anwendung bei all den modernen, völlig abstrakten Malereien, die man heute oft sieht, bei denen ein Maler eine große Leinewand mit bunten Flecken, Strichen u. Linien füllt, ohne daß der Beschauer den geringsten Anhaltspunkt findet, was das bedeuten soll. Ein Schmetterlingsflügel ist ein wunderbares Gebilde, wird er aber überdimensional u. monumental gebildet, dann verkehrt sich sein wunderbarer Reiz in Unheimlichkeit. Solch eine große Leinewand mit bunten Flecken u. Linien ist ein großer Aufwand an Kraft u. Material für eine Nichtigkeit, die in kleiner Form entzückend sein kann. Klee's kleine

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Hans Brass: TBHB 1953-06-16. , 1953, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-06-16_002.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)