Nerven, läßt mir Spritze da, von der er sich viel verspricht, will nächsten Morgen wiederkommen.
A. lächelt unendlich müde u. schwach. Verschluckt sich immerzu beim Trinken, kann nicht mehr trinken. Ich stütze –?– Als ich einen Augenblick den Rücken wende, wirft er sich, so totmüde er ist, im Bett herum. Sagen kann er nicht mehr: nach Osten, aber ich weiß es auch so u. bette ihn wunschgemäß. Er nickt, scheint dann einzuschlafen trotz des Zuckens der Glieder.
Nach einer Weile wird die Atmung so krampfartig, daß ich Bescheid weiß. „Schw. Maria, bitte stehen Sie auf, kommen Sie, mein Bruder stirbt!“ – „Nein!“ – „Es ist so!“ – „Ja, ich komme!“
Wir beteten zusammen u. abwechselnd. Der Körper war glühend heiß u. schweißgebadet ... Erst, als es aufs Letzte ging, ließ ich den Pater wecken, der noch einmal die Absolution gab.
2.55 Uhr. Ein letztes Aufbäumen u. Ausstöhnen, es war vollbracht! ... Wir beteten noch weiter. Die beiden hatten es garnicht gemerkt. Ich hatte ihn im Arm u. war über ihn gebeugt, ich wollte nicht, daß man ihm in seiner Not so ins Gesicht guckte. Erst, als ich um Alleinsein bat, merkten sie es u. gingen hinaus.
– – – Der Pater ging schlafen. Schw. Maria half mir waschen u. anziehen u. das Meßgewand anlegen. Das kl. Sterbekreuz, das er so oft die Nächte umklammert hatte, nahm ich jetzt an mich u. gab ihm das große über seinem Bett in die Hand. Morgens war es von der erstarrten Hand umklammert. Es lag ein wunderbarer Frieden über ihm. – Ich wollte niemand Fremdes an ihm hantieren lassen u. rasierte ihn selbst.
– – – Die Gemeinde konnte es nicht fassen. Es war wie ein verzweifelter Aufschrei, jetzt in dieser grenzenlosen Not! Ich mußte sie trösten u. halten. Sie baten, ihn sehen zu dürfen. Soweit sie es erfuhren, kamen sie noch einmal einzeln Abschied von ihm nehmen im Sterbezimmer. Sie baten um Aufbahren in der Kirche. Doch es ging nach dem Gewitter nachts u. bei der Tageshitze nicht mehr. Wir mußten ihn einsargen u. zumachen u. dann den Sarg in der Kirche aufbahren.
Die Kinder pflückten noch einmal Gänseblümchen für ihn u. Kornblumen zu Kränzen u. Sträußen (er liebte Feldblumen so). Den schlichten Sarg (Gott Dank daß ich einen bekam), schmückten wir mit Buchsbaumguirlanden, den alten, wackligen Handwagen, den wir nur für die Beerdigung bekommen konnten zum Ziehen, mit Grün u. Tüchern. Der Bürgermeister erlaubte Kirchenvorstandsmitgliedern während der Arbeitszeit die Teilnahme an der Beisetzung, sie zogen den Wagen u. trugen den Sarg in die Gruft.
Am 6.6.45. War H. H. Erzpriester Radek-Stralsd. zur Beisetzung gekommen. Nachts zuvor wollen Russen durch's Kellerfenster ins Haus eindringen. Die nächste Nacht wollten sie die Haustür wieder einschlagen. Gott Dank hielt sie stand.
Am 7.6.45. morgens 8 Uhr fand das Requiem statt, anschließend betteten wir A drüben
Hans Brass: TBHB 1946-12-28. , 1946, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-12-25_008.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2024)