unklar, guckt grübelnd. Um besser sehen zu können, läßt er sich die Brille aufsetzen. Es bleibt unklar trotz allem, auch wenn er die Augen noch so aufreißt.
Eine Nacht voll Dunkel u. Bangigkeit Er liegt mit geschlossenen Augen. Die Kerze brennt ruhig, abgedunkelt. Die Beine rascheln hin u. her, zucken hin u. her. Ich merke Versagen bei mir, wage es nur ein paar Minuten hinauszugehen, lasse die Tür auf, lege mich rasch in der Küche lang auf den Fußboden. Es wird besser. – Da!! – Ein Geräusch!! – ? – Ich springe hoch u. hin. Er hat sich aus dem Bett geworfen auf meine Matratze davor. „Was tust Du?“ – „Ich möchte Ruhe haben,“ stöhnt er verzweifelt. Ich tröste ihn, so gut ich kann bette ihn neben mir u. dann nach einer Weile, weil er so niedrig nicht liegen bleiben kann, zurück ins Bett, – „Leg Dich hierher, bleib bei mir!!“ Ich halte ihn ganz fest, massiere ihn vorsichtig streichend die ständig zuckenden Glieder. ...
Morgens – die zwitschernden Vogel u. die frische Morgenluft lassen die Bangigkeit etwas vergehen. Er lächelt: „Weißt Du, ich möchte so gern, daß X u. X (abgefallene Seelen) den Weg wieder zurückfinden“.
Morgens versuche ich selbst den Arzt zu bekommen, warte bis 7 Uhr, schelle an der Nachtglocke. Vom 1. Stock aus dem Fenster schickt mich seine Frau barsch fort, es würden keine Hausbesuche gemacht. Die Straße ist leer, nur Russen. Ein Gefährt hält plötzlich dicht neben mir im Fahren an, einer springt dicht neben mich .... ich laufe weiter. Dröhnendes Lachen, aber sie kommen nicht mehr nach. – Um 8 Uhr zur Sprechstunde versuche ich es nochmals selbst beim Arzt. Sie will mich wieder Stunden warten lassen, macht mir die Tür vor der Nase zu. Ich gehe dennoch zwischendurch hinein. (Bei allen durchbrennende Nerven, leider!) endlich bekomme ich Rezept. Medikamente fehlen. Ersatz in Apotheke. A. will es nicht nehmen.
1.6.45. Die Nacht wird wieder arg. Als ich um Wasser laufe, wirft er sich wieder aus dem Bett vor Todesangst .... Ruhelose Bangigkeit ...!
Am Tage bitte ich einen bekannten Flüchtlingsarzt, ob er mal kommen würde, ich weiß nicht mehr ein u. aus. Er ist zwar schon sehr alt u. nur Augenarzt, ich wollte aber nur mal ein Arzturteil über seinen Zustand hören. Aus Gefälligkeit kam er, war aber so hilflos, nichtssagende Worte –, daß es keinen Zweck hatte. A. sagte hinterher: „Das ist kein Arzt, den hole nicht mehr, hat keinen Zweck.“
2.6.45 Bei Tage große Schwäche. Eine Fünffährige kommt, bringt Blümchen. Er freut sich, ist ruhiger, nur die Glieder zucken weiter. – Die Nacht wird ganz schlimm, er kann vor Schwäche nicht mehr kommunizieren.
3.6.45 Ich überlege mit Jungen wegen Hilfe aus Greifswald. Alles vergeblich, jeder ratet ab, es kommt doch keiner durch. Ich schicke um Hilfe zu anderem Arzt. Es kann keiner kommen, die Russen beanspruchen sie. Schw. Maria die ergebnislos zurückgekommen war von Stralsund u. Rügen (unter großen Schwierigkeiten) geht abends noch einmal zu Dr. W. u. bittet eindringlich. Endlich kommt er, trotzdem er selbst krank ist. Er meint, das Herz sei noch nicht so schlecht, es seien nur die
Hans Brass: TBHB 1946-12-28. , 1946, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-12-25_007.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2024)