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27. 6. 45. Die Nacht zum Sonntag wird wieder qualvoll. Bis in die Nacht packen die Flüchtlinge, die plötzlich alle die Stadt verlassen müssen. Ein Rennen u. Hasten und Unruhe! – – – Wieder Krämpfe. Schmerzen. Atemsnot. Es ist entsetzlich! Er kann vor Schwäche u. Not seine Lage auch mit meiner Unterstützung nicht mehr ändern. „Weck Schw. Maria“, flüstert er. – Gut, daß alle Schläfer im Haus sich so wohlgeborgen wissen u. sorglos schlafen, selbst nicht mal das qualvoll unterdrückte Stöhnen wahrnehmen.

     Es dauert, bis ich sie wach habe. Sie kommt sofort, hilfsbereit. Wir betten ihn höher. Als ich einen Augenblick draußen bin, Wasser zu holen, flüstert er zu Schw. Maria „Es dauert so lange ich bin so zäh!“

     Ich schicke sie wieder schlafen. Neue, furchtbare Anfälle. Draussen toben die Hunde der GPU., dazwischen mal Schüsse. Lastautos kommen u. gehen mit Getöse, wie oft steigt die Angst hoch, ob man uns auch, wie die ganze Straße, plötzlich aus dem Haus werfen kann?

     Sowie es anfängt zu dämmern, öffne ich das Fenster. Es ist ja so heiß diese Tage. Zwar kann ich sie oft nicht auflassen vor tollem Krach. Aber es geht immer eine Entspannung über sein zermartertes Gesicht, wenn die ersten Vogelstimmen sich regen. Die frische Luft saugt er gierig mit offenem Munde ein. „Nach Osten nach Osten!“, flüstert er, wirft sich plötzlich mit aller Anstrengung im Bett herum. Ich begreife schließlich, was er meint bette ihn mit dem Gesicht gen Osten. Er liegt in Erwartung, daß die Sonne aufgehen möchte, – – – wartet noch auf etwas anderes – – – „Guck mal raus nach Osten richtig aus! siehst Du nichts?“ Er lächelt u. schließt die Augen. Kaum graut der Tag. Noch Dunkelheit, am Horizont eine Ahnung von Licht. Ich weiß wohl, was er meint, als er mich nun wieder forschend ansieht: „und wenn es – – letzte!! Station wäre?“ durchdringend ist sein Blick. Ich kann nur antworten, ganz ruhig: „die letzten Anzeichen sind noch nicht da. Wir werden es doch noch einmal schaffen! Das wäre ja noch schöner!“ – Er lächelt beruhigt u. schlummert kurz. Die Vögel singen, draussen der Lichtstreifen kommt höher. „Wie schön! Nun ist die bange Nacht vorbei. Er saugt die frische Luft ein. – „Der Diakon soll mir gleich, wenn er kommt, die hl. Kommunion bringen!“

27.5.45. Wir müssen Laiengottesdienst halten, ohne Priester heute Sonntag. Ich frage ihn kurz darüber u. hole Erlaubnis ein. – „Grüßt mir bitte alle Flüchtlinge noch einmal. Ich segne sie alle. Daß ich sie so fahren lassen muß, ins Ungewisse! Ich durfte ihm ja nicht sagen, in welcher Angst u. Not sie noch kamen, um sich noch einmal auszuweinen. Alle Werktage hatte der Diakon früh noch die hl. Kommunion austeilen können, Schw. Maria hatte die Messtexte gebetet, es waren immer viel Beter da. Der Diakon fuhr diesen Nachmittag ab. Auch bei uns ein weiteres, überhastetes Abfahren. Rennen treppauf, treppab. Der Rest von Flüchtlingen blieb. Leider die mit den ungezogenen Kindern auch dabei.

     Etwas Essen, d.h. ja immer nur Flüssiges, er kann Festes nicht mehr schlucken, nimmt A. wieder zu sich. „Was bringst Du mir heute?“ – Fast muß ich lachen, solches Fragen in seinem Mund klingt so komisch, daß er sich für Essen interessiert. Ich gehe drauf ein,

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Hans Brass: TBHB 1946-12-28. , 1946, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-12-25_004.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2024)