auf dem Dorfe wohnt. Ich hatte nämlich geglaubt, man dürfe, seitdem es keine Nazis mehr gibt, seine politische Meinung äußern. Der junge Mann, der sich als SED=Mann entpuppte, belehrte mich, daß das ein Irrtum ist; man darf auch heute nichts sagen sondern muß das Maul halten.
In Schwerin erwartete uns Frau Dr. Riemschneider an der Sperre. Ihr Söhnchen Kaspar hatte einen kleinen Handwagen, auf den das Gepäck verladen wurde. Ich sah Schwerin zum ersten Male. Der große See, der, wie ich glaube, der Faule See heißt u. der uns gleich empfing, erinnerte lebhaft an das Alsterbassin in Hamburg, nur ist alles viel kleinstädtischer u. gemütlicher, also in gewissem Sinne besser wie Hamburg.
Schwerin ist durch Flüchtlinge u. eine sehr große russische Garnison u. viele hohe Stäbe überaus volkreich u. belebt. Es wimmelt von Autos. So ist der Eindruck sehr lebendig u. durchaus großstädtisch. Wir hatten bis zur Wohnung von Frau R. etwa 20 Minuten zu gehen u. auf diesem Wege empfing ich einen sehr angenehmen Eindruck. Frau R. wohnt in einer Dienstwohnung, die der Direktorin des Landesmuseums gebührt, die sie jedoch nicht voll ausnutzt, da sie auch andere Leute noch dort aufgenommen hat wie Frau Maaß u. deren Tochter. Frau M. versieht dafür den Haushalt offenbar sehr gut. Ich selbst schlief in einem Bett, welches jeden Abend aus dem Schlafzimmer in das große Büro der Museums=Verwaltung geschoben wurde u. das sonst Kaspar sein eigen nennt, während Martha nebenan im Eßzimmer auf einer Kautsch schlief. Zur Familie gehört noch die 13 jährige Barbara. Kaspar ist wohl 10 Jahre alt.
Nach dem Mittagessen machte sich Martha gleich auf den Weg, um allerhand zu erledigen, u. a. auch, um die Kirche zu erkunden die etwa 10 Minuten vom Hause entfernt liegt. Sie hat den Pfarrer gesprochen, der bereit war, uns am Sonntag Nachmittag 4 Uhr zu empfangen. Ich selbst besichtigte mit Frau R. das Museum u. meine Ausstellung.
Frau R. hat sich eine erstaunliche Mühe gegeben. Sie hat den repräsentativsten Saal, der sonst große Gemälde von Rubens u. a. Flamen enthält, für mich ausgeräumt u. hat dort meine Bilder in einer überraschend geschickten Weise gehängt. Wenn man eintritt, sieht man sich sofort dem Christkönig gegenüber u. dieses Bild wirkt schlechthin ungeheuerlich. Rechts u. links davon hängen die Engelbilder u. die Verkündigung. Diese alle hängen rechts neben dem breiten Eingang zu einem Halbrundraum, der in sich abgeschlossen ist u. in dem, in einzelne Kojen aufgeteilt, die gut unter Glas gerahmten Zeichnungen hängen, sowie die frühen Oelbilder. Auf der anderen Seite dieses Einganges hängt die Himmelskönigin, Melchisedek, der Prophet und –, vielleicht doch nicht ganz befriedigend, auch die Treppe, die da keine rechte Beziehung findet. An der links anschließenden Querwand hängen dann
Hans Brass: TBHB 1946-10-08. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-10-08_002.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2024)