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In Nürnberg wurden 12 Todesurteile augesprochen, – nicht bloß sieben, wie ich dachte, nämlich: Göring, Ribbentrop, Keitel, Frank, Frick, Streicher, Rosenberg, Kaltenbrunner, Sauckel, Jodl, Seyß-Inquart u. Bormann. Letzterer war freilich nicht da weil er wahrscheinlich beim Einmarsch der Russen in Berlin schon umgekommen ist. Dazu muß man Hitler selbst u. Goebbels rechnen sowie Rob. Ley. – Heß, Funk u. Raeder erhielten lebenslängliche Gefängnisstrafen, v. Schirach u. Speer erhielten 20 Jahre Gefängnis, Neurath 15 Jahre u. Dönitz 10 Jahre. – Die russischen Mitglieder des Gerichtshofes haben gegen das Urteil protestiert, insofern Schacht, Papen u. Fritsche freigesprochen worden sind u. Heß zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, er hätte ihrer Meinung nach ebenfalls hingerichtet werden müssen. Die Russen sind auch der Meinung, daß der Generalstab u. das Oberkommando der Wehrmacht u. die ganze Reichsregierung zu verbrecherischen Organisationen hätten erklärt werden müssen. – Die Landeszeitung entwickelt, ebenfalls eine große Hetze u. erklärt, daß „nach der Meinung des Volkes“ alle Angeklagten ausnahmslos hätten zu Tode verurteilt werden müssen. Sie unterstützt diese Ansicht mit den üblichen Meinungsäußerungen aus dem Volk.

Dienstag, 8. Oktober 1946.     

     Es waren sehr ereignisreiche u. eindrucksvolle Tage.

     Am Sonnabend früh, noch in tiefer Dunkelheit, fuhren Martha u. ich auf dem offenen Wagen von Brandt mit dem Kutscher Hanschak los gen Wustrow. Es war der Last-Plattenwagen mit Gummirädern, auf den wir drei Stühle gesetzt hatten, denn Dr. Burgartz hatte sich uns angeschlossen. Unterwegs sammelten wir noch drei junge Mädchen auf, die ebenfalls zum Autobus wollten. – Anfangs ging alles gut, aber unterwegs fing es an zu regnen, sodaß wir ziemlich durchnäßt in Wustrow um 7 Uhr ankamen (Sommerzeit). Im Autobus trafen wir den Maler Holtz, der nach Rostock zur Kulturbund-Sitzung wollte, welche am Sonnabend tagte. – Der Autobus war sehr voll, doch kamen wir mit u. hatten sogar Sitzplätze. – In Ribnitz trafen wir noch Frau Dr. Ummus mit ihrem Sohn, Medizin-Student. Beide wollten nach Rostock. Wir warteten gemeinsam im Wartesaal auf den Zug, der etwa eine Stunde später kam. Der junge Ummus bemächtigte sich unseres Gepäcks u. ergatterte mit großem Geschick für uns alle Sitzplätze in dem sonst sehr vollen Zug im letzten Waggon. Mutter u. Sohn Ummus stiegen in Rostock aus. Martha u. ich fuhren ohne Zwischenfall weiter durch bis Schwerin. Nur zum Schluß gab es eine kleine Rempelei mit einem jungen Mitreisenden infolge einer etwas unbedachten politischen Aeußerung meinerseits. Ich sah daraus, wie weltfremd man wird, wenn man jahraus u. jahrein hier

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Hans Brass: TBHB 1946-10-04. , 1946, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-10-08_001.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2024)