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     Ich pflanzte weiter Dahlien u. einige junge Zwiebelpflanzen, die uns Frau Schuster heute früh brachte. Um 3 Uhr hatten wir ein kurzes, heftiges Gewitter mit minimalem Niederschlag.

     Vormittags waren Frau Soehlke u. Frau Kuhnke da u. erzählten von den Zuständen in Althagen, die noch viel unsicherer sind als bei uns. Es ist eine furchtbare Not. Man muß lachen, wenn man an die vier Freiheiten denkt, die Herr Roosevelt versprochen hat u. unter denen die Freiheit von Furcht die begehrenswerteste war. Wir kommen Tag u. Nacht nicht aus der Furcht heraus. Dazu kommt, daß es jetzt überhaupt keinen Strom mehr gibt, sodaß man keine Nachrichten hört. Wenn man uns dann noch die Radio-Geräte fortnehmen wird, dann weiß man überhaupt nichts mehr. Heute hat es bei Leplow Fleisch gegeben. Die Leute haben stundenlang angestanden. Beinahe hätte es aber auch dies nicht gegeben, da die Russen heute früh bei Leplow eingedrungen sein sollen, um das Fleisch fortzunehmen. Es konnte schließlich noch verhindert werden. Spangenberg haben sie zwar bis jetzt noch seine Pferde gelassen, – ein wahres Wunder, denn die Pferde sind gut, aber sie haben ihm heute auch noch den zweiten Wagen fortgenommen, nachdem der erste schon vor mehreren Tagen fortgenommen wurde. Wenn wir über Wustrow Lebensmittel bekommen sollten, werden keine Wagen dasein, um sie abzufahren.

Sonntag, 13. Mai 1945.     

     Wir holten heute in der Andacht das Himmelfahrtsfest nach. Die Beteiligung war natürlich schwach. Außer Martha u. Brigitte Nickstedt waren nur die vier Damen aus Stettin da. Dennoch war es sehr schön u. es herrschte eine gute u. lebendige Gebetsgemeinschaft. Die Stettiner Damen waren in Sorge wegen der drohenden Anordnung, wieder nach Stettin zurückkehren zu müssem. Zwar möchten sie es ganz gern, aber sie haben Sorge, wie sie dorthin kommen werden. Ihre Stettiner Bekannten, die in Althagen gewohnt haben, sind teilweise schon gestern abgereist. Sie sind mit dem Dampfer nach Ribnitz gekommen, aber weiter weiß man nichts. Sie müssen all ihr Hab u. Gut hier lassen, in der Hoffnung, daß man es ihnen später nachsenden wird. –

     Grete nimmt an den Andachten nicht mehr teil, auch an den Mittwoch-Vorträgen nicht. Sie sagt, sie wäre jetzt dazu „nicht in Stimmung“. Daraus ergibt sich die grenzenlose Oberflächlichkeit ihres sog. Christentums, das für sie nur ein Komfort für gute Tage ist u. in ernsten Zeiten nicht standhält. Daß der Glaube grade in den Zeiten der Not u. Gefahr eine Stütze u. Hilfe u. ein Schutz ist, das ist ihr offenbar noch nie aufgegangen. Alles fromme Gerede ist bei ihr nur dummes Geschwätz.

     Der gestrige Tag u. die Nacht sind ganz ruhig verlaufen. Gestern war in Wustrow eine große Truppenschau. Es soll ganz militärisch dabei zugegangen sein, sogar Militärmusik soll es gegeben haben.

     Unser Auto steht auf der Straße mit drei Rädern u. mit abmontiertem Motor. – Herr Dr. Hahn war, gestern Abend da. Er trägt sich mit der Absicht, nach Berlin zurückzukehren. Er hat kein Geld mehr u. hofft, in Berlin bei einer neuen Regierung wieder beschäftigt zu werden, aber vorerst ist von einer deutschen Regierung noch keine Spur zu sehen. Allerdings haben wir ja keine Nachrichten, da es immer noch keinen Strom gibt.

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Hans Brass: TBHB 1945-05-12. , 1945, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-13_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2024)