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Russen. Die Leute erzählten, daß jetzt bei der Batterie in Althagen ein großer Anschlag sei, nach dem sich alle Männer zwischen 17 – 50 Jahren zu melden hätten, ferner, daß alle Flüchtlinge bis zum 14. Mai, also Montag, den Ort zu verlassen hätten, u. endlich, daß alle Radiogeräte abzuliefern seien. Es ist zu erwarten, daß dieselbe Anordnung auch für Ahrenshoop erfolgen wird. Die Flüchtlinge sollen nach Ribnitz transportiert werden, wie sie von dort weiterkommen werden, weiß niemand. u. wenn sie weiterkommen, weiß niemand wohin sie gehen sollen, denn meistenteils existiert ihre Heimat ja nicht mehr. Mitnehmen können sie natürlich garnichts. – Die Ablieferung der Radio-Geräte ist völlig unbegreiflich.

     Gräff wußte mir nichts zu sagen. Er zeigte mir die Verfügung, daß er die Bürgermeister-Geschäfte wieder zu übernehmen habe u. die vom Kommandanten in Wustrow ausgefertigt ist. Er weiß aber nicht, wer denn nun eigentlich als Behörde zuständig ist. Er hat Passierscheine vorbereitet für den Schlachter Leplow u. a. Leute, aber da er ja nicht mit jedem solchen Schein nach Wustrow laufen kann, muß er warten, bis irgend ein höherer Offizier einmal kommt, um solche Scheine zu unterzeichnen. Dann aber ist solch ein Passierschein von zweifelhaftem Wert, da kein russischer Soldat sich daran kehrt. Die Leute werden unterwegs trotzdem ausgeplündert. Leplow würde niemals mit Schlachtvieh bis hierher kommen, auch wenn er irgendwo solches noch auftreiben würde. Bisher hat Gräff solche Unterschriften wenigstens von den Majoren bekommen, die bei Frau Longard wohnten, aber diese sollen nun auch fort sein. Alles Bettzeug haben sie mitgenommen. Gräff wartet nun auf den Kommandanten von Dierhagen, der bisher jeden Tag mit dem Auto nach Ahrenshoop gekommen sein soll u. der nach Gräff's Beschreibung ein Mann ist, mit dem sich reden läßt. Jedenfalls sind die Schwierigkeiten ungeheuer u. man kann Gräff keinen Vorwurf machen, wenn keine Ordnung ist. Ich sagte ihm, daß in Wustrow ein Schiff mit Mehl angekommen sei, wovon er nichts wußte. Von Reichert=Ribnitz wollte er wissen, daß er total ausgeplündert sei u. deshalb Lebensmittel nicht hierher schicken könne. Von Saatmann meinte er, daß es dort keine Lebensmittel mehr gäbe, außer etwas Zucker. Ich bezweifelte das, konnte es aber nicht beweisen. Vom Paetow=Hof sagte er, daß dieser total ausgeplündert sei. Nach dem, was Herr Brandt gestern abend sagte, müssen aber doch noch Saatkartoffeln da sein u. auch noch anderes Saatgut, denn Brandt sagte, er habe Paetow u. auch Waterstradt geholfen, Kartoffeln zu pflanzen u. zu säen. Ich konnte Gräff nun auch nichts weiter sagen, als daß Paul bereit wäre, ihm zu helfen. Es schien, als ob er bereit wäre, sich helfen zu lassen. Paul muß sich ihm notfalls aufdrängen. Vorläufig hat das zwar noch kaum Zweck, denn das Gemeindeamt ist total demoliert. Die Russen haben sämtliche Schränke u. Schreibtische erbrochen, Stühle zerschlagen u. mit den Akten ihre Feldküche geheizt. Alle Grundstücks-Akten sind vernichtet.

     Martha ist eben zu Deutschmann gegangen, um ihn zu interessieren, daß Paul in die Gemeinde-Geschäfte eingeführt wird. Auch Küntzels sind ja Flüchtlinge u. müssen Ahrenshoop räumen, wenn hier ein solcher Befehl erlassen werden sollte, was bestimmt zu erwarten ist.

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Hans Brass: TBHB 1945-05-12. , 1945, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-12_003.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2024)