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Desorganisation platzgegriffen zu haben, ganze Einheiten gehen mit ihren Offizieren zu den Amerikanern über.

     Gestern hatten wir den ganzen Tag über Strom, dafür heute überhaupt keinen. Mittagessen wird deshalb wohl wieder ausfallen müssen.

Donnerstag, 22. März 1945.     

     Der Strom kam gestern doch noch, wenn auch spät, sodaß wir essen konnten. Wir aßen eine Konserve, die Fritz früher einmal geschickt hatte u. die Hühnerbrühe enthielt, dazu Kartoffeln. Es war sehr schmackhaft. Wir essen jetzt allmählich unsere bescheidenen Vorräte auf, was später kommt, mag der Himmel wissen. –

     Der Vortrag gestern Abend: Geburtsgeschichte Jesu, – Beschneidung, – Darstellung im Tempel – u. der 12jähr. Jesus im Tempel gelang besonders gut, ich war gut in Form. Später blieb noch Frau Dr. Müller-Bardey da. Sie erzählte, sie sei gewarnt worden, an diesen Vorträgen teilzunehmen, die Nazis könnten zum Schluß noch etwas gegen mich unternehmen u. dann würden alle Teilnehmer mit daran glauben müssen. Sie sagte nicht, wer diese Warnung ausgesprochen hat, nur sagte sie, es sei wohlwollend gemeint gewesen u. nicht von nationalsoz. Seite. – Ich kümmere mich darum nicht. –

     Die Amerikaner haben Saarbrücken genommen, eben so Ludwigshafen u. Mainz. Unsere Saarverteidigung befindet sich offenbar in wilder u. unorganisierter Flucht u. versucht, noch über den Rhein zu entkommen, sofern sie sich nicht ergibt. Die Straßen sind mit Trümmern von Fahrzeugen verstopft, sodaß nun schwere Waffen u. Fahrzeuge nicht mehr durch kommen u. verloren sind. Die Gefangenenzahlen sind sehr hoch, noch höher aber ist der Verlust an schweren Waffen u. Fahrzeugen.

     Der rechtsrheinische Brückenkopf wird ständig ausgeweitet. Inzwischen wird am Niederrhein von Eisenhower die neue Offensive hinter künstl. Nebelwänden vorbereitet.

     In Kopenhagen ist das Gestapo-Hauptquartier von Moskito=Bombern total vernichtet worden.

Freitag, 23. März 1945.     

     Heute der erste schöne, warme Frühlingstag. Vormittags im Garten gearbeitet, aus einem alten Johannisbeerstrauch, der im Halbschatten stand, vier junge Sträucher gemacht u. in die Sonne vor das kleine Haus gesetzt. Sonst geharkt u. gehackt. Sehr anstrengend, war Mittags ganz erschöpft.

     Man sagt, Feldmarschall v. Rundstedt sei abgesetzt u. Feldmarschall Kesselring habe die Westfront übernommen. Vielleicht hängt das mit dem Gerücht zusammen, das vor einiger Zeit ging, daß v. R. an Eisenhower eine Botschaft gesandt habe, Waffenstillstand zu schließen. Jedenfalls hat damals die Amerikanische Regierung offiziell erklärt, daß Eisenhower jederzeit die Kapitulation selbst ganzer Heeresgruppen entgegen nehme, daß aber deshalb von einem Waffenstillstand keine Rede sein könne. Man nahm an, daß diese Verlautbarung die Antwort auf die Anfrage v. R's. gewesen sei. v. R. ist sicher unter den noch vorhandenen Armeeführern der fähigste. Ich hatte immer gehofft, er würde eines Tages die Opposition in die Hand nehmen,

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Hans Brass: TBHB 1945-03-21. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-03-22_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2024)