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Die Folge war, daß bei uns das Mittagessen ausfallen mußte. Ich benutzte diesen langen „Vormittag“, den ich bis 4 Uhr Nachm. ausdehnte, um meine neue Vortragsreihe über das Lukas-Evangelium vorzubereiten. Heute Abend halte ich den letzten Vortrag über Dogmatik, von den letzten Dingen. Vielleicht wird die alte Frau Ziel wieder kommen, sie u. Frau Korsch haben wenigstens die vorhergehenden Vorträge des vorigen Jahres gehört. Es kommt mir dumm vor, diese letzten Vorträge über Dogmatik vor lauter Hörerinnen zu halten, welche die meisten Vorträge nicht gehört haben u. denen darum die Vorbedingungen zum Verständnis fehlen; aber es scheint ja so, als interessierte es die Damen trotzdem.

     Die Russen haben oberhalb Breslau die Oder in 80 km. breiter Front überschritten u. wollen stellenweise 20 km. weit vorgedrungen sein. Wenn es stimmt, dürfte die Atempause beendet sein. Sie wäre dann sehr kurz gewesen. Die Anglo-Amerikaner stoßen weiter in den Westwall vor.

     Martha geht es heute besser. Sie ist aufgestanden u. will heute Vormittag Verkauf machen, da der Mittwoch als Verkaufstag eingerichtet ist.

Donnerstag, 8. Febr. 1945.     

     Gestern waren wir den ganzen Nachmittag ohne Strom, der erst um 10 Uhr abends wieder anging. Heute früh ebenfalls ohne Strom erst 10 Uhr vorm. ging er wieder an. Auf diese Weise hört man kaum noch Nachrichten. Wenn der Strom gänzlich eingestellt werden wird, kann es passieren, daß die Russen eines Tages vor der Türe stehen, ohne daß wir es ahnen.

     Der Bürgermeister von Bromberg u. der Kreisleiter sollen erschossen worden sein, weil sie vor den Russen ausgerissen sind, es ist aber weithin bekannt, daß fast alle Nazi-Bonzen aus dem Osten längst ausgerissen sind. Auch in Königsberg soll es so sein. So auch Herr Johow, der zu Anfang des Krieges hier stets in SA-Uniform herumstolzierte u. auf der Straße alle Männer in Civil anpöbelte, warum sie nicht an der Front wären. Er selbst war allerdings während des ganzen Krieges nie an der Front, sondern er hatte irgend einen schönen Druckposten in Posen. Dort ist er sofort ausgerissen, als die Russen kamen u. nun sitzt er hier herum. Er ist nicht einmal Volkssturmmann bisher gewesen, erst hier ist er, wie ich gehört habe, dazu erfaßt worden.

     Unser Mittwoch-Vortrag fand gestern bei Petroleumlicht statt. Da es sehr stark regnete, war die Beteiligung gering, nur Frau Korsch, Frau Ziel, Grete u. Martha. Es war der letzte dogmat. Vortrag über die Letzten Dinge u. es war ganz gut, daß all die Neuen nicht da waren, sondern nur Frau Korsch u. Frau Ziel, die ja alter Stamm sind. Nun kann die Vortragsreihe über Lukas frisch beginnen.

     Martha hatte gestern Verkauf. Es geht ihr besser. Sie hörte schreckliche Dinge vom Elend der Flüchtlinge aus dem Osten. Die Leute haben oft nichts Anzuziehen, dabei liegt das Gemeindeamt voll von Spenden für das sog. „Volksopfer“.

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Hans Brass: TBHB 1945-02-07. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-02-08_001.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2024)