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Montag, 29. Januar 1945.     

     Heute vor 24 Jahren begegnete ich Martha zum ersten Male auf dem Ball der Sozialistischen Monatshefte im Rheingold in Berlin –

     Gestern Abend waren wir wie alljährlich einmal bei Neumanns im Kurhaus. Der alte Neumann lag krank u. das war im Interesse der Gemütlichkeit nicht schlecht. Es gab eine vorzügliche Suppe, dann Hasenbraten mit Rotkohl u. Kartoffeln, zum Schluß Apfelmuß. Frau N. legte mir, wie üblich, auf u. ich aß unwahrscheinlich viel. Später gab es dann noch echten Thee u. vorzüglichen Streuselkuchen. Das Gespräch drehte sich natürlich vorwiegend um die politische u. wirtschaftliche Zukunft. Alle haben Angst vor den Russen, deren barbarische Grausamkeit von unserer Propaganda nun seit Jahren in allen Farben geschildert worden ist, wozu noch das Bewußtsein kommt, daß unsere Nazis sich seit 1933 Verbrechen über Verbrechen geleistet haben, die nun in irgend einer Weise gebüßt werden müssen. Man fürchtet die furchtbare Rache.

     Heute starker Nordwest, große Schneeverwehungen.

     Gestern Nachmittag war der Obergefr. Mehliss bei uns zum Kaffee. Er versprach, zu kommen, um das Dach der Bu Stu. frei zu schaufeln, – aber inzwischen hat der starke Wind schon vorgearbeitet. – Nachher mit Paul Strauß'sche Musik gehört, wobei mir Paul sehr gut zu größerem Verständnis verhalf.

     Heute Nachmittag kommen erstmalig die Kinder zum Religionsunterricht.

     Seit heute dürfen wieder Briefe bis zu 20 gr. aufgegeben werden. – Nachrichten von den Fronten habe ich gestern leider nicht gehört.

Dienstag, 30. Januar 1945     

     Heute ist der 12. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis. Das 13. und letzte Jahr ihrer sog. Macht hat damit begonnen. Zwölf Jahre von Verbrechen über Verbrechen liegen hinter uns. Wenn ich auch nie daran gezweifelt habe, daß diese Leute großes Unglück über uns bringen würden, so übersteigt das, was nun ist, doch alle Vorstellungen, die ich mir früher gemacht habe. Heute, am Beginn des 13. Jahres, stehen Engländer, Amerikaner u. Franzosen im Westen auf deutschem Boden u. es ist nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen, wann unsere Abwehr dort zusammenbrechen wird. Die Russen aber haben im Osten nun überall die Reichsgrenzen überschritten. Ostpreußen ist jetzt fast ganz in ihrer Hand, Königsberg liegt unter russischem Artilleriefeuer. Nördlich Posen haben sie nun auch die pommersche Grenze überschritten u. haben den großen Knotenpunkt Kreuz eingenommen, wodurch Danzig von Berlin abgeschnitten worden ist. Damit dürfte nun der Moment gekommen sein, wo auch unser Volkssturm an die Front geschickt werden wird. Das oberschlesische Industrierevier ist ganz in russischer Hand u. dort haben die Russen bereits die Oder überschritten, Breslau ist von drei Seiten eingeschlossen. Dort ereignete sich wieder ein neues Verbrechen, dessen Urheber Himmler direkt ist. Als vor einigen Wochen der Volkssturm aufgerufen wurde, hielt dieser Kerl eine Rede, in der er sagte, es müsse jeder Feigling sofort u. ohne Gericht erschossen werden, er würde eine jede solche Tat

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Hans Brass: TBHB 1945-01-29. , 1945, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-01-29_001.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2024)