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Mittwoch, 20. Dezember 1944.     

     Unsere Offensive scheint weiterhin Fortschritte zu machen. Beide Seiten schweigen sich aus, aber er ist zu erkennen, daß der Hauptstoß zwischen Malmedy u. dem Nordteil von Luxemburg geführt wird u. bis jetzt unsere Angriffsspitzen etwa 8 km. über die belgische Grenze vorgedrungen sind. Die Absicht v. Rundstedt's scheint zu sein, südlich Aachen vorzustoßen, um diese Stadt zurück zu gewinnen. – Dies aber kann wohl kaum das letzte Ziel einer offenbar sehr groß angelegten Aktion zu sein. Das strategische Ziel muß doch wohl darin bestehen, ganz Belgien u. vor allem den Hafen Antwerpen zurück zu gewinnen. Man fragt sich nach den Aussichten dieses Unternehmens u. warum dieses in diesem Zeitpunkte unternommen worden ist. Der Zeitpunkt für eine solche Offensive ist doch sehr ungünstig, denn alle Straßen sind jetzt u. besonders nach den monatelangen Kämpfen völlig verschlammt. Dazu kommt, daß das Wetter, welches nach Frost aussah, wieder umgeschlagen ist, es regnet es ist trübe u. nebelig, sodaß die Luftwaffe nicht voll eingesetzt werden kann. Auch kann man nicht annehmen, daß die neu aufgestellten Divisionen jetzt schon sehr schlagkräftig sind, die Zeit war zu kurz. Was hat also v. Rundstedt veranlaßt, jetzt schon loszuschlagen, anstatt in etwa drei bis vier Monaten? – Die Antwort auf diese Frage dürfte in der Ueberlegung liegen, daß beim Fortgang der Materialschlachten östlich Aachen u. im Saargebiet ein sehr großer Verschleiß an Menschen u. Material von uns gefordert wird der unsere Reserven stark verbrauchen würde u. daß bei der verheerenden Wirkung der Luftoffensive unserer Gegner unsere rückwärtigen Verbindungen bald völlig gestört sein dürften, sodaß dann nicht einmal mehr ein einfacher Widerstand möglich sein wird. Nicht zuletzt aber muß jeden Tag mit dem Losbruch einer gewaltigen russischen Offensive gerechnet werden, deren Wirkung in drei bis vier Monaten so gefährlich sein wird, daß dann an einen weiteren Widerstand überhaupt nicht mehr zu denken ist. So erweist sich also doch die Zeit, die angeblich zu unseren Gunsten wirken soll, zuletzt doch als unser Feind. Wenn man es so betrachtet, erscheint diese Offensive wie ein letzter Verzweiflungsschritt, wozu auch der Tagesbefehl des Feldmarschalls v. R. paßt, in dem es heißt, daß es „aufs Ganze“ ginge, – d. h. also doch: biegen oder brechen. Es mag ja sein, daß v. R. mit dieser Offensive Erfolg hat, daß er Aachen zurückgewinnt, daß er Brüssel u. Antwerpen nimmt, – aber daß ihm ein Dünkirchen gelingen sollte, daran wird er wohl kaum denken. Es muß ihm aber gelingen, wenn diese Offensive Erfolg haben soll, denn es handelt sich eben darum, den Gegner zu vernichten, – nicht aber darum, die Front um einige hundert Kilometer nach Westen zu verlegen. Das wäre höchstens wieder mal ein Propaganda-Erfolg, um das Volk zu noch größerem Elend zu veranlassen. – Und so kann ich in dieser Sache nichts anderes sehen als ein nutzloses Opfer von weiteren Hunderttausenden von Menschen zu dem Zweck, wenigstens mit einer heroischen Geste unterzugehen. – Mögen dann wenigstens Herr Hitler u. Herr Himmler u. ihre Kumpane sich an die Spitze ihrer Truppen stellen u. den Heldentod sterben.

     Heute morgen um 1/2 10 Uhr ging das Licht aus.

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Hans Brass: TBHB 1944-12-20. , 1944, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-12-20_001.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2024)