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Zentralhotel zwecks Vereidigung zum Volkssturm zu erscheinen. Der Wagen Spangenberg fährt um 7 1/2 Uhr von hier nach dort.

Sonnabend, 11. Nov. 1944.     

     An Bürgermstr. Gräff Brief geschrieben, daß ich nicht nach Prerow fahren könne aus gesundheitlichen Gründen, besonders bei der rauhen Witterung. Außerdem beziehe sich der Volkssturm nur auf waffenfähige Männer u. das sei ich nicht.

     Gestern Abend waren Erich Seeberg u. der Bildhauer Marks bei uns. Marks erzählte, daß in der Dorfschule Althagen im Klassenzimmer der Satz auf die Wand gemalt sei: „Wir Deutschen lieben den Pulverdampf mehr als Weihrauch“. – So vergiftet man schon die Kinder, – aber die Offenheit ist bemerkenswert man gibt zu, den Krieg als Metier zu betreiben u. die Religion zu verachten.

     Seitdem der Führer es am 8. Nov. unterlassen hat, vor seinen alten Kämpfern zu reden, scheint es so, als wäre er damit als Führer abgetreten. Er hätte unbedingt sprechen müssen, um die Stimmung des Volkes wieder aufzurichten. Grade in dieser Zeit hätte er sprechen müssen. Aber vielleicht kann er nicht mehr reden, vielleicht ist er schon „total“ zusammengebrochen? Und was geschieht dann? Zu Beginn des Krieges ernannte der Führer offiziell Rudolf Hess zu seinem Nachfolger, an zweiter Stelle Hermann Goering. Rud. Hess ist längst dahin u. Herm. Goering ist zwar noch da, aber er ist kalt gestellt. Man hört immer öfter, daß er zur Friedenspartei gehöre, jedenfalls hat er nichts mehr zu sagen. Der Kampf um die Führung wird jetzt nur noch geführt zwischen Dr. Goebbels u. Heinr. Himmler, wobei der Letztere allerdings alle materiellen Machtmittel in der Hand hat. –

Montag, 13 November 1944.     

     Gestern Abend bei Frau Longard. Guter Moselwein u. sehr anregende Unterhaltung mit der alten Dame, die jetz 79 Jahre alt ist u. dabei ungemein frisch. Ihre Tochter, Frau Dr. Kemper, deren Mann jetzt Professor geworden ist, war ebenfalls da, doch will sie jetzt mit den drei Kindern nach Berlin fahren, weil der Mann darum gebeten hat. Er ist ja bei der Wehrmacht u. ist Gefreiter u. fühlt sich ganz furchtbar unglücklich. Es ist ein großer Entschluß, jetzt nach Bln. zu fahren.

     Sonst gestern nur an Fritz u. Pfr. Dobczynski geschrieben. Morgens sah ich vom Fenster aus die Volkssturmmänner nach Prerow fahren. Abends kam Richard u. erzählte, daß zwar alle Namen aufgerufen worden seien, daß aber niemand davon Notiz genommen hätte, wenn einer fehlte. Es haben außer mir noch einige andere aus anderen Dörfern gefehlt. Die Leute sind vereidigt worden u. dann ist, – nach Richard – eine Rede gehalten worden auf Horst Wessel mit dem Sinn, daß ein Deutscher, der bis jetzt noch nicht sein Leben gelassen hätte für den Führer, überhaupt noch nichts getan hätte. Heute früh hörte ich im Radio, daß der Führer eine Proklamation an die Volkssturmmänner erlassen hätte. Entweder hat Richard das nicht begriffen, oder die Proklamation ist bis dahin nicht bis Prerow gelangt.

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Hans Brass: TBHB 1944-11-10. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-11-11_001.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2024)