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Montag, 6. Nov. 1944.     

     Am Freitag ereignete sich eine ziemlich tolle Geschichte. Meine Nichte Erika Wollesen erhielt gleich zwei Telegramme des Truppenarztes der Einheit, bei welcher ihr Mann ist. Diese SS-Einheit wird anscheinend zusammengestellt, oder ist bereits zusammengestellt worden u. liegt in der Nähe von Bremen auf dem Lande in Quartier. Erika war vor einigen Tagen dort, um ihren Mann noch zu sehen, ehe er ins Feld kommt. Nun, die Telegramme enthielten die dringende Aufforderung sofort zu kommen. Wir konnten uns das nicht anders erklären, als daß dem Mann ein Unfall zugestoßen sei u. daß er hoffnungslos liegt. Erika ging abends noch zur Batterie, um die Erlaubnis zu holen, am Sonnabend früh mit dem Lastauto mit nach Ribnitz fahren zu können, nachdem sie für den Autobus, der von Wustrow nach Ribnitz fährt, keinen Platz mehr bekommen hatte. Auch hatte sie versucht, die Einheit ihres Mannes telephonisch zu erreichen, jedoch gelang das nicht, da nur Wehrmachtsgespräche vermittelt wurden. Die Nachrichtenhelferin der Batterie kam auf die gute Idee, von dort aus die Einheit anzurufen, doch dauerte es stundenlang, bis die Verbindung kam. – Inzwischen waren wir alle in größter Aufregung. Endlich spät abends rief die Nachrichtenhelferin bei uns an. Sie hatte Verbindung bekommen, hatte mit dem Truppenarzt persönlich gesprochen. Er sagte, daß garnichts geschehen sei, es sei nur am Sonnabend eine Abschiedsfeier, zu der Erika kommen sollte u. da sie dazu eine Reiseerlaubnis brauchte, hat er diese Telegramme geschickt, indem er eine lebensgefährliche Erkrankung vorgetäuscht hat. –

     Wir waren alle empört. Diese Menschen haben überhaupt kein moralisches Gewissen. – Am nächsten Morgen hatte, indessen Erika schon viele Entschuldigungen dafür bereit u. der Erfolg war, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen Martha u. Erika kam u. anschließend zu einem heftigen Krach zwischen Grete u. Martha, der von mir erst am Sonntag früh durch die Andacht beigelegt werden konnte.

     Eine ganz ähnliche Sache erlebten wir neulich schon einmal, als Gretes Tochter Inge einen Brief schrieb, Grete müsse sofort zu ihr kommen. Sie führte zwar keinen Grund an, aber man mußte annehmen, daß Inge schwer erkrankt sei. Da Grete ja nicht einfach hier fort kann u. das Reisen heutzutage eine furchtbare Anstrengung ist, die mit Lebensgefahr verbunden ist wegen der Luftangriffe, rieten wir ihr dringend ab, zu reisen. Es wurde ein Telegramm an Eva nach Bln. gesandt, sie solle zu Inge fahren. Eva rief dann am nächsten Tage hier an u. es ergab sich, daß überhaupt nichts vorlag, sondern daß Inge sich nur gedacht hatte, ihrer Mutter eine Freude zu machen, wenn sie sie zu sich einlüde. Damit sie auch bestimmt kommen sollte, hat sie so getan, als ob sie krank wäre. – Es scheint, daß man diesen Menschen nicht alles glauben darf, was sie sagen. – Damit auch Paul in der Sache nicht fehlt ereignete sich mit ihm ebenfalls eine dunkle Sache. In der vorigen Woche fuhr Trude nach Schneidemühl zurück. Ich gab ihr Zigaretten für Paul

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Hans Brass: TBHB 1944-11-06. , 1944, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-11-06_001.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2024)