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     Wir werden uns nun im Hause verändern müssen. Es werden Häuser beschlagnahmt u. bald auch einzelne Wohnräume, denn man wird die Menschen aus dem Westen evakuieren müssen. Die Pension St. Lukas ist bereits beschlagnahmt worden. Wir werden Paul u. Grete ins Haus aufnehmen, ich werde meine beiden Zimmer dazu hergeben u. dafür nun ganz in mein früheres Atelier im kleinen Hause umziehen, wo ich ja schon seit einiger Zeit provisorisch male. Ich werde mich dort ganz einrichten, Fritz muß dann einen anderen Raum bekommen. Nur schlafen werde ich im großen Hause oben im bisherigen Fremdenzimmer. Es wird dadurch eine Vereinfachung der Wirtschaft erreicht, denn Grete wird dann die ganze Ordnung des Erdgeschosses übernehmen u. wird auch für die Küche sorgen. –

     Heute Abend wird bekannt, daß die Alliierten die holländische Grenze überschritten haben.

     Uebrigens ist seit Freitag schon das Vergeltungsfeuer der V1=Waffe eingestellt worden.

Mittwoch, 6. Sept. 1944.     

     Wieder neue Aufregung im Dorf. Alle Wohnräume sind beschlagnahmt, sehr rigoros. Unser Entschluß, Paul u. Grete aufzunehmen, kam grade noch zur rechten Zeit, ich hätte sonst meine beiden Zimmer an Fremde abgeben müssen. So sind wir drum herum gekommen wenigstens im großen Hause. Im kleinen Hause ist das rechte Zimmer beschlagnahmt worden. Es handelt sich nicht um Evakuierte aus dem Westen, sondern um Ausgebombte aus Stettin, wo nach dem letzten Angriff 60000 Menschen obdachlos geworden sind.

     Als die sog. Kommission, bestehend aus Frau Both für die NSV u. Frau Gräff als Frau des Bürgermeisters zu uns kam, waren wir schon eifrig beim Umräumen. Letzte Nacht habe ich bereits in meinem neuen Schlafzimmer geschlafen. Es ist dort zwar etwas eng, aber es geht. Heute haben wir mein Atelier eingerichtet, so weit wir konnten, es ist sehr anstrengend u. wir können es nicht auf einmal machen. Die Bürosachen habe ich herübergebracht, auch einige Privatsachen, es fehlen noch die Bücher mit dem Regal u. a. Sachen. Ich benütze wieder mal die Gelegenheit, vieles wegzuwerfen, man hat zu viel unnötiges Zeug.

     Gestern Abend kam Grete spät noch einmal. Sie hatte einen höchst deprimierenden Brf. von Paul u. eine zweite Nachricht von ihrer Tochter Inge, nach der die jüngste Tochter Erika Prag verlassen muß. Der Mann hatte bisher dort studiert, wofür er beurlaubt war. Jetzt aber ist er plötzlich wieder eingezogen. Die Zustände in Prag sind nun aber so, daß er es nicht wagt, seine junge Frau mit dem 1/2jährigen Kinde dort zu lassen. Aber wohin mit ihr? Es bleibt nichts anderes übrig, als sie hierher kommen zu lassen, wenn uns das Zimmer im kleinen Hause wieder freigegeben wird. Erika muß ihre ganze Einrichtung, die sie sich angeschafft hatte, in Prag stehen lassen u. kann nur das Notwendigste mitnehmen. Ich kenne sie kaum, habe sie nur einmal vor einigen Jahren in Bln. gesehen, als wir auf der Durchreise nach Regensburg dort waren

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Hans Brass: TBHB 1944-09-04. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-09-06_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2024)