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Sie hatte viele religiöse Fragen, über die ich nicht wenig erstaunt war, – ich hatte nicht gewußt, daß dieses Mädchen sich so ernsthaft mit dergleichen abgibt. Sie bat um die Erlaubnis, jedesmal wieder zu mir kommen zu dürfen, sooft sie von Berlin herüberkommt. –

     In der letzten Woche sind anscheinend sämtliche früheren Abgeordneten der Linksparteien aus dem Reichstag wie aus den Landtagen, sowie anscheinend auch aus den Kreistagen u. Kommunalparlamenten verhaftet u. hinter Schloß u. Riegel gesetzt worden. In Ribnitz allein sollen fünfzehn Verhaftungen vorgenommen worden sein. Hier bei uns hat man Herrn Jesse aus Rostock verhaften wollen, doch heißt es, daß er vorher ausgerissen wäre. Sein Haus liegt dicht am Walde, sodaß er bloß über seinen rückwärtigen Zaun klettern brauchte, um zu verschwinden, jedoch weiß ich nicht, wie u. wo er sich dauernd verbergen will. In Althagen haben sie Herrn Zelk verhaftet, der dort schon seit mindestens 2 Jahren lebt, seitdem er ausgebombt ist.

     Heute Nacht wieder Fliegeralarm, sehr früh, schon gegen 11 Uhr, Entwarnung gegen 12 Uhr. Man hörte nichts, jedoch rüttelten lange Zeit meine Fensterrahmen. Man sagt, Königsberg u. Kiel seien angegriffen worden. Heute Mittag 1 Uhr wieder Alarm, bis jetzt 1/2 3 Uhr, noch keine Entwarnung. Die Luftlagemeldung lautete um 1 Uhr einen Feindverband über Nordwestdeutschland u. einen zweiten im Anflug auf Westdeutschland. Um 2 Uhr hieß es, daß der erste Verband über Nordwestdeutschld. jetzt über Dänemark sei, der zweite Verband habe nach Nordwestdeutschland abgedreht, ein dritter, schwächerer Jagdverband sei über Südwestdeutschland. Es scheint demnach ein beängstigendes Interesse für die Deutsche Bucht u. Dänemark vorzuliegen. Ist es der Auftakt einer Landung in Dänemark? –

     Bulgarien hat nun offiziell ein Gesuch um Waffenstillstand überreicht. Churchill ist in Rom vom Hl. Vater in Audienz empfangen worden, die Unterredung hat 3/4 Stunden gedauert. –

     Mittags im Kurhaus trafen wir Dr. Meyer, der wie wir sonntags mit seiner Familie dort ißt. Er meinte scherzhaft, er wundere sich, mich noch zu sehen. Ich verstand, daß er sagen wollte, er wundere sich, daß ich noch nicht irgendwie vom totalen Kriegseinsatz erfaßt worden sei, – aber nein, – er spielte auf die zahlreichen Verhaftungen aller ehemaligen, links gerichtet gewesenen Politiker an.

     Ich hörte heute, daß Herrn Jesses Haus unter ständiger Bewachung liegen soll. –

     Im Westen scheinen unsere Armeen in vollem Rückzug auf die Rheingrenze zu sein, im Südosten stehen die Russen an der Donaumündung u. dicht vor Galatz.

Mittwoch, 30. August 1944.     

     Montag Abend Gewitter mit Sturm u. viel Regen, sodaß die Lichtleitung kaputt ging u. erst Dienstag Nachmittag wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Inzwischen sind die Amerikaner weiter vorgedrungen, haben Laon besetzt, sind östlich über Reims hinaus u. auch Chalons an der Marne ist in ihrer Hand. Offenbar wiederholen sie das Manöver, was sie schon westlich der Seine exerziert haben. Sie werden auf St. Quentin u. Amiens vorstoßen, um so die

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Hans Brass: TBHB 1944-08-27. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-08-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2024)