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Freitag, 18. Aug. 44.     

     Heute habe ich das Bildnis des alten Geistlichen fertig gemacht. Es ist sehr schön. Ein vom Leid durchpflügtes lächelndes Greisengesicht, das kaum noch etwas Irdisches hat. Der Maler Dr. Jaeger sah es heute, als er sich verabschiedete u. war sehr begeistert. Was mich freute, war, daß seiner Meinung nach von anderen Malern nichts Aehnliches gemalt würde, es sei, wie alle meine neuen Bilder, absolut orignal.

     Die Schlacht in der Normandie ist immer noch nicht beendet. Nach unseren Berichten werden stets alle Angriffe abgewehrt, aber die Engländer sprechen von einer vollständigen Einkesselung der 7. Armee bei Falaise u. daß sich östlich davon bis zur Seine ein zweiter Kessel bilde. Die Amerikaner stehen heute im Vorfelde von Paris u. werden morgen vielleicht den Stadtrand erreichen. In Paris selbst sollen Streiks ausgebrochen sein, auch die Polizei soll streiken u. überhaupt scheint in ganz Frankreich der Aufruhr begonnen zu haben. Besonders im Süden, wo die neue Landung offenbar rasche Fortschritte macht, scheint die Aufstandsbewegung sehr aktiv zu sein, ebenso in der Gegend von Clermont. Das ist die Gegend, in der Fritz sich befindet u. man kann oder muß in Sorge um ihn sein. Hoffentlich gelingt es ihm, unbeschädigt in Gefangenschaft zu geraten, das wird das Beste sein, was ihm passieren kann, denn es ist nicht zu erwarten, daß die dort stehenden Truppen den Anschluß an die Heimat finden.

     Im Osten haben die Russen nun die ostpreußische Grenze von Litauen her bei Wirballen erreicht. Damit wird der Krieg jetzt auf deutschen Boden getragen. Von Kurt traf heute ein Brief ein, in dem er die Erfolge der Russen auf die Ueberlegenheit an Menschen, Material u. Fliegern zurückführt. Das dürfte natürlich stimmen. Daß er aber der Zuversicht Ausdruck gibt, daß sich dieses Mißverhältnis nun bald zu unseren Gunsten ändern wird, ist eine unverzeihliche Dummheit.

     Eva Küntzel, die morgen wieder abreist, sagte heute, daß eine Nachricht von ihrem Vater eingetroffen sei. Nach dem verschlüsselten Wort, das wir verabredet haben, ist die Situation sehr schlecht.

     Ruth Bauknecht ist sehr unglücklich. Es ist kaum Hoffnung vorhanden, daß die Entfremdung gegenüber Erich überbrückt werden kann, besonders, da Erich den Ernst der Situation garnicht erkennt, sondern in seiner schwäbischen Oberflächlichkeit glaubt, es handele sich um eine vorübergehende Laune. So erlebt Ruth heute genau das Gleiche, was einst ihre Mutter erlebt hat. Sie wird sehr schweren Zeiten entgegengehen. –

     Es ist ein Segen, daß wir wenigstens das Geschäft geschlossen haben, so hat Martha wenigstens etwas Ruhe.

     Erich hat den Koks in den Keller gebracht, den man uns vor die Türe geschüttet hatte u. hat die Bäume im Hintergarten geschnitten, so daß der Blick aufs Meer wieder frei ist.

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Hans Brass: TBHB 1944-08-18. , 1944, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-08-18_001.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2024)