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über die künftige Entwicklung noch nicht gewinnen läßt. Allerdings dürfte eine Beurteilung, wie sie mir gestern Mittag Herr Kiehl gab, der mit dem Auto hier durchkam u. mich begrüßte, kaum das Richtige treffen. Dieser Herr meinte, wir ließen die Angloamerikaner, „absichtlich“ hereinkommen, u. wenn sich genügend feindliche Truppen hier befänden, dann würde unsere sagenhafte „Geheimwaffe“ einsetzten. Wir würden dann Südengland angreifen, sodaß die bei uns gelandeten Truppen dadurch isoliert würden u. wir würden sie dann leicht vernichten. Es ist offensichtlich ein Unsinn, daß wir die Angloamerikaner, absichtlich hereinließen, davon kann garkeine Rede sein. Was aber den Angriff auf Südengland betrifft u. die Hoffnung auf unsere berühmte, „Geheimwaffe“, so muß man das abwarten. Es mag ja sein, die Technik hat schon manchmal überrascht; aber gerade deshalb läßt man sich zu leicht verleiten, allzugroße Erwartungen zu hegen. Diese Geheimwaffe, von der schon so viel geredet worden ist, ohne daß sie bisher in Aktion getreten wäre, ist denn doch allzu sagenhaft geworden, als daß man viel von ihr erwarten könnte. Der einzige Erfolg, der von ihr zu erwarten ist, falls sie tatsächlich ein solches Wunder sein sollte, ist eine neue Verlängerung des Krieges u. eine neue Vernichtungswelle durch feindliche Flugzeuge, die über uns kommen würde. –

     In Italien scheint sich unser Widerstand langsam wieder zu versteifen. Auch die Russen haben mit Ausnahme ihres Angriffs in Karelien noch nicht begonnen. Es ist also immer noch nötig, abzuwarten. Im großen Ganzen kann man sagen, daß die Anloamerikaner mit ihrer Landung noch nicht viel weiter voran gekommen sind, als ihre Schiffsgeschütze reichen. Einen geeigneten Hafen haben sie noch nicht erobert. Es ist ihnen gelungen, die beiden Brückenköpfe von Bayeux u. Caen zu vereinigen u. nach Westen bis Carenton auszudehnen u. nördlich davon in Richtung Valognes Boden zu gewinnen. Alle Kämpfe hatten bisher nur örtliche Bedeutung, zu wirklich großen Zusammenstößen ist es noch nicht gekommen. Die Angloamerikaner stehen immer noch zwischen den beiden starken Eckpfeilern Cherbourg – Le Havre, ohne daß es ihnen bisher gelungen wäre, auch nur heranzukommen an den einen oder anderen. Andererseits sind von uns inzwischen starke Kräfte zusammengezogen, worden, es wird also nun bald zu schweren, entscheidenden Kämpfen kommen. Bis dahin muß man bangen Herzens abwarten.

Freitag, 16. Juni 1944.     

     Es ist fünf oder sechs Jahre her, daß Otto Wendt mir einen sehr anständigen Oelfarben-Malkasten geschenkt hat. Es mag auch noch länger her sein. Er wollte mich damit nötigen, ihm ein Bild zu malen. Ich habe den Kasten in den Schrank gestellt u. nie mehr angesehen. – In diesem Frühjahr oder noch im Winter starb Bartuscheck. Martha veranlaßte die Frau, daß sie mir die Staffelei des Verstorbenen leihweise überließ. Sie glaubte, mich damit zum Malen verführen zu können. Die Staffelei stand seitdem drüben im kleinen Haus in meinem ehemaligen Atelier, in dem Fritz jetzt wohnt. Sie war ja für mein kleines Zimmer viel zu schwerfällig. Meine Versuche im letzten Herbst, mit Aquarellfarben zu malen, waren gänzlich gescheitert, denn mir liegt diese Technik garnicht. Seitdem habe ich den Gedanken an das Malen ganz wieder aufgegeben. Dora Seeberg, die jetzige Frau des Malers Oberländer, fragte mich kürzlich nach der Staffelei des Bartuscheck, denn er hat das Atelier

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Hans Brass: TBHB 1944-06-16. , 1944, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-06-16_001.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2024)