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Ich glaube, Herr Dr. W. wird sich im Laufe dieses Sommers noch oft wundern u. noch oft Gelegenheit haben, seine zuversichtliche Begeisterung innerhalb von zehn Minuten ins Gegenteil zu verkehren. – „Wir vertrauen auf den Führer!“ – hinter diese Parole ziehen sich jetzt all diese politischen Kannegießer zurück, ohne zu merken, daß dieser Führer der Oberkannegießer ist. Dieser Oberkannegießer hat garnicht geahnt, wie stark Rußland ist, weil er seine Spione u. Spitzel nur im Inneren des Landes verwendet hat, anstatt sie nach Rußland zu schicken. Er hat darauf vertraut, was ihm der Sektreisende v. Ribbentrop gesagt hat u. was dieser wieder von anderen gehört hat. Nun mit einem Male ist „Europa in Gefahr!“ War Europa etwa nicht schon in Gefahr, als Hitler Oesterreich, die Tschechoslowakei, Polen, Holland, Belgien, Serbien, Griechenland angriff? Dieser Mann ist nur imstande, das in Rechnung zu stellen, was in seinem eigenen Kannegießer=Gehirn vorhanden ist, in die Gedanken seiner Gegner vermag er sich nicht zu versetzen. Das aber ist die Voraussetzung einer erfolgreichen Politik.

     Bei Ausbruch des russischen Krieges behauptete Hitler, daß es die letzte Minute gewesen sei, ehe Rußland über uns herfiel. Einige Monate – oder etwa ein Jahr später verkündete der andere Oberkannegießer, Hermann Goering, der erstaunt aufhorchenden Welt, daß dieser Krieg gegen Rußland die geniale Idee des Führers gewesen sei, indem er dadurch die reichen Rohstoffgebiete der Ukraine für Deutschland erobert habe, da wir sonst wegen Rohstoffmangels den Krieg nicht hätten gewinnen können. Jedermann wußte das natürlich, aber daß ein führender Minister so abgründig dumm sein könne, es öffentlich auszusprechen, das war mehr, als man erwarten durfte. – Dennoch vertrauen alle auf den Führer, obgleich dieser ebenso öffentlich eingestanden hat, sich über die Stärke Rußlands geirrt zu haben.

     Herr Dr. Goebbels beklagt sich in der letzten Nr. des Reich, daß die Engländer seine hysterischen Hilfeschreie als Friedensfühler auslegten u. beruft sich darauf, daß die Nazis schon vor 20 Jahren auf die Gefahr des Bolschewismus hingewiesen hätten. Es ist aber doch wohl ein Unterschied, auf die Gefahr des Bolschewismus in Propagandareden hinzuweisen, – ein Bolschewismus, von dem wir damals übrigens durch Polen getrennt waren, – oder ob man auf Grund eines Irrtums in diese Gefahr tatsächlich verstrickt wird, wie Hitler es getan hat. – Herr Goebbels fragt ganz dummdreist: „Ist unsere militärische Lage so beschaffen, daß wir in unserer Siegeszuversicht auch nur im Geringsten schwankend werden müßten?“ – Jawohl, Herr Goebbels, – unsere militärische Lage ist allerdings so, – u. das sog. Feldherrngenie des Gefreiten Adolf hat uns in diese Lage gebracht, – sonst wären Ihre ganzen Reden, Herr Goebbels, barer Unsinn u. Demagogie. Dann wäre Europa eben nicht in Gefahr! Herr G. behauptet, wir hätten „bisher nur mit der Linken geboxt“ – jetzt wären wir dabei die „Rechte zu bandagieren“. – Das ist Faselei, Herr Goebbels! – Aber Herr G. weiß genau

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Hans Brass: TBHB 1943-02-21. , 1943, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-02-21_003.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2024)