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zugeteilt, daß sie die Pferde kaum durchbringen können. Eins dieser Pferde hat der Forstmeister an den Reichswirtschaftsminister Funk verkauft, der es seiner Gattin zum Geschenk machte, die irgendwo in Süddeutschland auf ihrem Gute lebt. Um das Pferd dorthin zu bringen, mußten ein Feldwebel u. ein Forstgehilfe nach Berlin fahren, damit von dort ein Güterwagen gestellt wurde, – denn weil dieser Wagen nicht in einen gewöhnlichen Güterzug einrangiert, sondern an einen D=Zug angehängt werden sollte, besaß man in Stralsund keinen Wagen, der diese Geschwindigkeit ausgehalten hätte. Endlich ist denn das Pferd in Begleitung des Feldwebels u. des Forstgehilfen losgefahren u. ist auch glücklich angekommen. Die gnädige Frau war sehr entzückt u. gab dem Feldwebel 500,– Rm. – dem Gehilfen 100,– Rm. als Spesen. Diese beiden braven Männer haben dann geschildert, wie der Pferdestall des Herrn Reichswirtschaftsministers von Marmor, Messing u. Kupfer nur so gestrotzt habe. – Und das alles 1942, wo jeder Volksgenosse alles an Kupfer u. Messing abzuliefern hat, selbst kleinste Schrauben.

     Weiter erzählte Herr ...., er habe selbst einen persönlichen Brief des Feldmarschalls Keitel gelesen, in dem es hieß: „und das sage ich Ihnen, – der Russe pfeift auf dem letzten Loch!“ – Alles das sind treffliche Illustrationen zur „Reichsidee“. – Wie sehr der Russe auf dem letzten Loche pfeift, das erleben gegenwärtig unsere Soldaten bei Stalingrad. Der Name dieser Stadt ist wohl schon seit etwa 10 Tagen aus den Heeresberichten verschwunden, – also werden wir diese Stadt wohl geräumt haben. Was sonst noch in den Räumen zwischen Wolga u. Don u. im großen Donbogen vor sich geht, weiß der Himmel! Herr Keitel ist jedenfalls ein ahnungsloser Engel. – In seiner vorletzten Rede verkündete der Führer: „Wir werden Stalingrad nehmen, – darauf können Sie sich verlassen!“ In seiner letzten Rede vor vier Wochen, als die Amerikaner in Nordafrika gelandet waren, sagte er: „Eigentlich haben wir ja Stalingrad schon längst, aber ich will Menschen schonen, deshalb lasse ich die Russen ruhig in den letzten Resten, die sie noch halten u. mache das mit Stoßtrupps!“ – Und heute? – – Er ist genau so ahnungslos wie sein Feldmarschall. – –

     Seit gestern haben wir das Geschäft wieder täglich von 2 – 5 Uhr offen, bisher nur Mittwochs. Es war gestern ein starker Andrang, sehr anstrengend. Zum Glück ist das Wetter warm, bei mir am Fenster, wo die Sonne hinscheint, zeigt das Thermometer 17° Wärme.

Dienstag, 15. Dezember 1942.     

     Harald Langhinrichs, ein langer, schlaksiger, vierzehnjähriger Bengel aus dem Dorf, hilft im Geschäft in seiner Freizeit u. ist ganz anstellig u. zu manchen Dingen gut zu brauchen. Leider ist er so gut wie überhaupt nicht erzogen u. ist in seinem Benehmen ein richtiger Flegel. Gestern nachmittag war die Frau des Kunsthistorikers Prof. Heydenreich im Geschäft zum Einkauf. Sie wohnt in Althagen, wo ihre Schwiegermutter ein Haus hat.

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Hans Brass: TBHB 1942-12-10. , 1942, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1942-12-15_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2024)