Seite:HansBrassTagebuch 1936-07-27 002.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

von Ansichtskarten, Cigaretten, Schokolade u. Bonbons. –

     Als wir mittags von Müritz zurück kamen, war mein Kollege Schulze-Jasmer aus Prerow hier. Er erzählte mir folgende amüsante Geschichte:

     Die nationalsozialistische Vereinigung der Vorpommerschen Künstler hatte beschlossen, eine Wanderausstellung in Vorpommern zu veranstalten. Da die Kunstwerke dieser Herren aber doch nicht ausreichten, um ein solches Unternehmen zu wagen, blieb nichts anderes übrig, auch solche Künstler aufzufordern, die „politisch belastet“ sind. Zu diesen gehört Schulze Jasmer u. ein anderer Künstler, ich glaube Lattner oder ähnlich, aus Anklam. Man forderte sie also auf u. Schulze Jasmer sandte 5 Bilder, von denen zwei dann zurückgewiesen wurden, weil sie angeblich zu sehr den Bildern des Karl Hofer nahe stünden. Darauf wurde die Ausstellung in Stralsund gemacht u. es wurden von den drei Bildern des Schulze Jasmer zwei Bilder verkauft u. ein Bild von jenem anderen „belasteten“ Künstler aus Anklam. Sonst wurde nichts verkauft. Die Ausstellung ist gegenwärtig in Demmin. Schulze-Jasmer hat die verkauften Bilder durch andere ersetzt. Das Ergebnis in Demmin ist nun dasselbe wie in Stralsund, – Schulze Jasmer verkauft, die anderen nicht. – Man sieht daraus, daß die nationalsozialistischen Künstler, die angeblich allein in der Lage sind, die dem deutschen Volksgenossen, „artgemäße“ Kunst zu fabrizieren, unter sich bleiben, die artgemäßen Volksgenossen halten sich lieber an die „belasteten“ Künstler. Ähnlich war es mit dem gestrigen Volksfest. Dieses Fest mag „artgemäß“ gewesen sein für die 1000 fremden Leute, die man zusammengetrommelt hatte u. die Parteiuniformen trugen oder jene Verkleidung, sprich Volkstracht, vorpommerscher Fischer, diejenigen aber, die hier in Ahrenshoop Ruhe u. Erholung suchen u. die seit Jahren hierher kommen, die waren im höchsten Grade belästigt durch diesen lärmenden Radau. Es fällt so wie so schon auf, daß sich der Charakter des Badepublikums seit zwei Jahren bedenklich verändert, – in diesem Jahre scheint mir das besonders spürbar zu sein. Wenn sich dergleichen Veranstaltungen wie gestern noch ein paar mal wiederholen, dann ist Ahrenshoop ruiniert. Man spricht davon, daß jener Küchenneubau nur der Anfang sein soll für umfangreiche weitere Bauten für die Urlauber von Formationen. Platz genug ist da, die ganze Kuhweide steht ihnen zur Verfügung. Freilich haben dann die Kühe keine Weide mehr. Aber jetzt schon hört man, daß die Büdner gern geneigt sind, ihre Kühe abzuschaffen, denn deren Pflege macht mehr Arbeit, als der leichtere Verdienst der aus einer heerdenmäßigen Ansammlung von Menschen zu erhoffen ist. – Man pflegt angeblich, die artgemäße Tradition der Bevölkerung u. schwätzt ihnen dazu allerhand bunte Trachten auf, mit denen sie wie auf einem Maskenball umherlaufen, – aber man verleidet ihnen ihre Kühe. Unter „artgemäß“ verstehen diese Leute das, was sie sich in ihren uniformierten Formationen denken: Radau u. Lärm. – So ist es überall. Dieses ganze Geschwätz entsteht irgendwo in Großstädten unter Leuten, die keine „Art“ mehr haben. Die „Artlosigkeit“ ist artgemäß. –

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1936-07-27. , 1936, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-07-27_002.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)