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dem Helden nicht einen Zaubergegenstand, sondern sein Vermögen entlockt; die Rückgabe erfolgt, nachdem der Betrogene die Nase der Frau durch ein besonderes Holz verlängert oder ihr durch Genuß einer Gurke Hörner aufgesetzt hat.

Verbunden treffen wir die Motive der drei ererbten oder durch Tausch und Raub gewonnenen Talismane[1] und der entstellenden und heilenden Früchte[2] zuerst im 14. Jahrhundert in den lateinischen Gesta Romanorum (cap. 120 ed. Oesterley; cap. 147 ed. Dick): Seinem dritten Sohne Jonathas hatte König Darius drei Kleinode vermacht, einen Ring, der seinem Besitzer aller Menschen Gunst erwarb, eine Halskette, dessen Träger alles erhielt, was er wünschte, und ein Tuch, das den darauf Sitzenden entrückte, wohin er wollte. Als Jonathas von der Mutter den Ring erhielt[3], begegnete er einem schönen Mädchen, das ihn betörte und ihm Geheimnis und Ring entlockte. Ebenso erging es ihm mit dem zweiten Erbstücke; mit dem dritten entführte er die Buhlerin in einen Wald, um sie dort zu verlassen, ließ sich aber bereden, in ihren Armen zu schlafen, worauf sie sich in die Heimat zurück wünschte. Der betrogene Jüngling schritt durch einen Bach, dessen Wasser das Fleisch von seinen Knochen löste, und aß, da ihn hungerte, von Früchten, die ihn aussätzig machten; doch ein andres Wasser heilte seine Füsse, ein andrer Baum den Aussatz. Wie er dann mit diesem Wasser und den Früchten einen König heilte[4],


  1. Schon im Wolfdietrich B Str. 830 f. 837 besitzt ein Zwerg einen goldenen Zederbaum, der Wein spendet, und schenkt dem Helden eine Büchse, aus der fünfzig Gewappnete hervorkommen, und ein Hörnlein, womit er ihn, wie Huon von Bordeaux den Oberon, herbeirufen kann (Müllenhoffs Heldenbuch 3, 288). Über andre Märchen von Wunschdingen vgl. z. B. nr. 36. 92; Cosquin 2, 85; Chauvin 7, 35.
  2. Im indischen Märchen bei Knowles p. 90 (Sayid and Said) verwandelt die Rinde eines Baumes in einen Esel, und die eines andern verleiht wieder die menschliche Gestalt.
  3. Auch im armenischen Märchen gibt die Mutter dem Helden ein Kleinod nach dem andern.
  4. Zwei Arten von Äpfel, die den Aussatz hervorrufen und heilen, und die Heilung eines Königs durch diese kommen auch in einer jüdischen Erzählung des Maaseh-Buches c. 223 vor (Helvicus, Jüdische Historien 1617 1, 160. Tendlau, Fellmeiers Abende 1856 S. 64. Mitt. f. jüdische Volkskunde 2, 18 nr. 11). Heilkräftiges Wasser statt der Früchte begegnete uns schon in dänischen, isländischen, lettischen Märchen; auch bei Einsiedel (1789) und Oehlenschläger bietet eine Quelle das Gegenmittel gegen die Feigen.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_482.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)