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mit den schönsten Silberblumen und Früchten, geht nach Haus, wirft Nadel und Bügeleisen unter den Tisch und wird ein reicher Handelsmann. Die zwei andern denken: ‘Zu dem Berg können wir wieder, wenn wir Lust haben, zurückgehen; wir wollen unser Glück weiter versuchen’, und wandern fort. Sie kommen zu einer großen Eisenpforte, die geht von selbst auf, nachdem sie dreimal daran geklopft. Sie treten in einen Garten, da hängen die Bäume voll Goldäpfel. Der zweite Schneider bricht sich so viel ab, als sein Rücken tragen kann, nimmt Abschied und geht heim. Dort begibt er sich auch zum Handel und wird ein noch größerer Kaufmann als der erste, so daß man glaubt, der reiche Jude zu Hamburg stamme von ihm ab. Der dritte aber meint: ‘Der Garten mit den Goldäpfeln bleibt mir sicher, ich will noch weiter nach meinem Glück gehen’. Er irrt in der Wüstenei umher, und als er den Garten und den Silberberg wieder sucht, kann er ihn nicht finden. Endlich kommt er zu einer großen Anhöhe und hört auf einer Pfeife blasen. Er geht näher und findet eine alte Hexe, die pfeift vor einer Herde Gänse, die bei dem Ton mit den Flügeln schlagen, und auf der Alten auf und nieder tanzen. Sie hatte sich schon vierundneunzig Jahre auf der Höhe mit dem Tod herumgezerrt und konnte nicht sterben, bis die Gänse sie tot traten oder ein Christ kam, der sie mit Waffen totschlug. Sobald sie seine Schritte hört und er so nah ist, daß sie ihn sieht, bittet sie ihn, wenn er ein Christ sei, möge er sie mit der Keule, die an ihrer Seite da stehe, totschlagen. Der Schneider will nicht, bis sie ihm sagt, er werde unter ihrem Haupt ein Tuch finden, welches, wie er es wünsche, auf ein paar Worte voll der köstlichen Speisen stehe. Da gibt er ihr einen Schlag auf den Hirnschädel, sucht und findet das Tuch, packt es gleich in sein Bündel und macht sich auf den Heimweg. Ein Reiter begegnet ihm und bittet ihn um ein Stück Brot, der Schneider sagt: ‘Liefere mir deine Waffen aus, so will ich mit dir teilen’. Der Reiter, der ohnehin Pulver und Blei im Krieg verschossen hat, tut das gern; der Schneider breitet sein Tuch aus und traktiert den hungrigen Kriegsmann. Diesem gefällt das Tuch, und er bietet dem Schneider dafür seine wunderbare Patrontasche zum Tausch; wenn man auf die eine Seite klopfe, kämen hunderttausend Mann zu Fuß und Pferd heraus, klopfe man auf die andere, aller Art Musikanten. Der Schneider willigt ein, aber nachdem er die Patrontasche hat, beordert er zehn Mann zu Pferd, die müssen dem Reiter nachjagen und ihm das Tuch wieder abnehmen. Der Schneider kommt nun nach Haus; seine Frau wundert sich, daß er so wenig auf der Wanderschaft gewonnen hat. Er geht zu seinen ehemaligen Kameraden, die unterstützen ihn reichlich, daß er eine Zeitlang davon mit Frau und Kind hätte leben können. Er aber ladet sie darauf zum Mittagsessen, sie möchten nicht stolz sein und ihn nicht

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Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_475.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)