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503) Das Gespenst auf der Superintendentur zu Wiesenthal.
Flader a. a. O. S. 110 sq.

Im Jahre 1675 im Monat October hat sich auf der Superintendentur zu Wiesenthal ein Gespenst sehen lassen, welches einen weißen Trauerhabit anhatte und sich für eine Frau von Adel ausgab, so bei dem zu Glauchau früher befindlichen Nonnenkloster die Stelle einer Aebtissin vertreten habe. Das erste Mal ist dieses Gespenst, welches man später nur die weiße Frau genannt hat, einer hier dienenden Näherin aus Leipzig, Namens Marie Sabine Demantin, erschienen, ist vor das Bett, in welchem sie mit der Kindermagd lag, getreten, hat geächzt und geseufzt, dann hat es die silbernen Eßlöffel, welche in einem Körbchen gelegen, gezählt und, da ihrer nur 11 gewesen, gesagt: „ei des Herrn Löffel fehlt!“ was auch der Fall gewesen. Hierauf hat es des Superintendenten langen Mantel und die mit Pelz gefütterte Schaube seiner Frau, welche an der Wand gehangen, heruntergenommen, den Mantel und die Schaube oben darauf umgenommen und ist so in der Stube herumspazirt, als aber das Kindermädchen darüber gelacht und gesagt, „was macht denn der Narr!“ ist es ihr schlecht bekommen, denn sie hat augenblicklich im Munde und Gesicht heiße Blasen bekommen und deshalb 14 Tage das Bett hüten müssen. So oft aber als das Gespenst erschienen, hat es einen hellen Glanz und Schimmer um sich verbreitet, daß man einen Pfennig auf der Erde erkennen konnte. So haben denn zwei Männer, G. C. Müller und A. Flader, sich, nachdem die beiden Mädchen aus der Kammer weggebettet worden waren, in dieselbe niedergelegt, um das Gespenst abzulauern, es ist aber nicht von ihnen wahrgenommen worden, sondern hat sich nur durch Geräusch kundgegeben, hat auch mit einem schweren Steine in die Kammer geworfen, daß darüber Alles erschüttert worden ist, darauf ist es in den Stall gegangen und hat daselbst einer alten Ziege den Hals umgedreht, auch in dem Hühnerhause gegenüber eine Henne erdrückt. Seit dieser Zeit ist das Gespenst

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_434.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)