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sondern zog sich in eine Einsiedlerhütte zurück. Da nun in jener Zeit das Cölibat der Geistlichen noch nicht gesetzlich bestand, so nahm er sich ein Weib, nach den Worten der Schrift: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Meginrad wurde bald ein glücklicher Vater mehrerer Kinder. Auch diese verließen den väterlichen Wohnplatz nicht, bis endlich um das Jahr 1281 einer der Nachkommen Meginrads, Grubo genannt, in die Welt zurückkehrte, anstatt der Einsiedlerkutte den Harnisch anlegte und statt des Rosenkranzes das Schwert in die Hand nahm. Grubo machte sich bald in Schlachten und Turnieren berühmt, allein der Name Einsiedel blieb ihm und ward von ihm auf zahlreiche Söhne und Töchter fortgeerbt.[1]


  1. Dieselbe Sage erzählt mit mehreren Veränderungen Stumpf in seiner Schweizer-Chronik, Zürich 1548. Fol. S. 106. Nach ihr lebte im 9. Jahrhundert in Schwaben ein Graf, Berchtolt von Sulgow, dem seine Gemahlin einen Sohn Meynrad oder Meginrad (Meinhard) gebar. Meginrad wurde von seinen Aeltern für den geistlichen Stand bestimmt und daher in das Kloster Reichenau am Bodensee gebracht. Doch sein Sinn verlangte nach der Einsamkeit des Waldes. Er verließ daher Reichenau und zog sich in einen finstern, öden Wald am Züricher See zurück, um hier ungestört als Einsiedler seinem Gott zu dienen. Da geschah es denn im Jahre 863, daß zween Räuber zu ihm kamen und ihn erwürgten in der Hoffnung, Gold und Schätze bei ihm zu finden. Als er eben von ihren Händen sterben sollte, sah er zween Raben fliegen und sprach: „Die Raben werden’s verrathen!“ Da nun nach einiger Zeit die Räuber in Zürich in der Garküche saßen und Raben um das Haus fliegen sahen, sprach einer zum andern: „Schau, schau, da fliegen die St. Meinhard’s Zeugen her!“ Das zeigten Etliche der Obrigkeit an, die zog sie ein, und da sie die That bekannten, wurden sie gerädert und mit Feuer verbrannt. Aber der Leichnam des frommen Meinhard wurde nach Reichenau gebracht und blieb dort ein Gegenstand der Verehrung bis zur Aufhebung des Klosters, d. h. bis zum Jahre 1803.
    An der Stelle aber, wo St. Meinhards Zelle gestanden hatte, erbaute im Jahr 913 der Dom-Decan Eberhard aus Straßburg eine Kapelle und eine neue Einsiedelei. Bald fanden sich hier viele Fromme zusammen, bis endlich das Kloster Einsiedeln entstand. In Einsiedeln wurden aber bald der Ordensleute so viele, daß das Kloster sie nicht alle erhalten konnte. Manche der Klosterbrüder verließen ihre Zellen wieder. Unter diesen befand sich auch ein Bruder, der aus dem Lande Meißen [285] stammte und der in die Heimath zurückkehrte, um sich dem Kriegsdienste zu widmen. Aber hatte er auch seinem Leben eine andere Bestimmung als die früher gewählte gegeben, so behielt er doch den Namen Einsiedel und wurde so der Ahnherr derer von Einsiedel. – Dies soll geschehen sein um das Jahr 1280. Uebrigens ist die Sage der von den Kranichen des Ibycus sehr ähnlich, s. B. Schmidt, Romanzen u. Ball. deutsch. Dichter S. 206, sq. A. Schoppe, Sagenbibl. Lpzg. 1851. Bd, II, S. 122. sq. Götzinger, deutsch. Dichter Bd. I. S. 334. sq.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_284.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)