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werden.[H 1] Enthusiastisch wirkte das Ganze und gewiß ist das Werk, namentlich in den Chorsätzen, seinen frischesten, reizendsten beizuzählen. Was dies nach so großen Leistungen heißen will, mag sich jeder, der dem Gange seiner Schöpfungen zugesehen, selbst sagen. Einzelnes heben wir nicht hervor: doch – jenen mit Chor unterbrochenen Zweigesang „ich harrete des Herrn,“ nach dem sich ein Flüstern in der ganzen Versammlung erhob, das in der Kirche mehr gilt als der laute Beifallruf im Concertsaal. Es war wie ein Blick in einen Himmel Raphael’scher Madonnenaugen. So hat denn die große Erfindung des Lichts, deren Feier wir begingen, auch ein Werk des Lichts hervorgerufen, für das wir alle seinem Schöpfer unsern neuen Dank aussprechen müssen; so laßt uns, wie der Künstler die Worte so herrlich componirt, immermehr „ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts.“ –




Anmerkungen (H)

  1. [GJ] Gestrichen: „Die Form des Ganzen konnte für diesen Zweck nicht glücklicher gefunden werden, wenn wir auch zweifeln, ob es ursprünglich so gedacht ist, und beinahe überzeugt sind, daß jene Orchestersätze, schon vor einiger Zeit geschrieben, Theile einer wirklichen Symphonie waren, der er den Lobgesang, der mir durchaus neu scheint, für den besondern Zweck der Aufführung jetzt anschloß. Wie dem sei, die Composition wirkte enthusiastisch, und dies gerade durch die innere und äußere Steigerung. Der Lobgesang war der Gipfel, zu dem das Orchester durch die Menschenstimmen gleichsam emporgetragen wurde, und auch die Orgel fehlte nicht zur höchsten Kraft des Schlusses. Vermuthen wir anders richtig, daß die Symphoniesätze früher unabhängig von dem Lobgesange bestanden, so möchten wir beide Werke auch lieber in getrennter Weise veröffentlicht sehen, zum offenbaren Vortheil beider [268] Partieen des Werkes. Die Symphoniesätze enthielten sicher an sich außerordentlich Schönes, der erste Satz, wie namentlich das Allegretto; zur Feierlichkeit und Prächtigkeit des Lobgesanges schienen sie mir aber zu zart und fein gewirkt und eher einen heiteren Schluß zu verlangen, ähnlich etwa wie die B dur-Symphonie von Beethoven, mit der sie auch die Tonart theilen. Wie nun die drei Sätze, von einem Finale beschlossen, eine vollständige Symphonie für das Concert abgeben würden, so steht auch der Lobgesang an sich als einzelnes Werk da, und nach meiner Meinung sogar als eines der trefflichsten von Mendelssohn, der frischesten, reizendsten, genialsten. Was dies nach so großen Leistungen etc“ – wie oben. II.267–268 Commons
    [GJ] Anmerkung 54: Wenn Schumann hier sagt, daß die Orchestersätze, unabhängig von dem Lobgesang, schon früher geschrieben seien, daß aber dieser ihm „durchaus neu zu sein scheine“, so ist dieser reservirte Ausdruck nicht recht verständlich, denn der Sachverhalt war ihm bekannt. Ebenso schrieb er nach der zweiten Aufführung des Lobgesanges (3. Dec. 1840), er „glaube“, daß der Componist Änderungen darin vorgenommen habe, während sein Bericht in der Brockhausschen Ztg. (v. 8. Dec.) bestimmt sagt: „Der Meister hatte mehrere Aenderungen darin vorgenommen.“ Es ist auch anzunehmen, daß Schumann sein Bedenken bezüglich der Form des Ganzen schon mündlich gegen den Componisten geäußert hatte, bevor er sie öffentlich aussprach. Später, beim Ordnen seiner ges. Schriften, mochte er seine damaligen Einwendungen als gegenstandslos ansehen, da das Werk längst veröffentlicht worden war. So strich er denn den ganzen Passus. – Es ist nichts darüber bekannt geworden, daß sich in Mendelssohns Nachlaß auch ein zu den drei Orchestersätzen gehöriges Finale vorgefunden hätte, an dessen Stelle die Cantate gesetzt wurde. Von einer „Symphonie in B“, an der er schreibe, berichten Mendelssohns Briefe aus 1838 und 39 mehrfach. – Eine spaßhafte Scene in einer der ersten Orchesterproben zum Lobgesang erzählte man sich noch zehn Jahre später in Leipziger Musikerkreisen. Als ein kleines Beispiel davon, wie Mendelssohn einen guten Scherz aufnahm, mag das Geschichtchen hier eine Stelle finden. Die versammelten Musiker stimmten ihre Instrumente (was man früher im Gewandhause recht gründlich besorgte), während Mendelssohn sich noch im Saal unterhielt. Plötzlich erschallte auf dem Orchester, mitten im lärmenden Durcheinander des Stimmens, wie ein gewaltiger Kommandoruf das Anfangsthema des Lobgesangs, von einer Posaune geblasen:
    [526] [WS: Notensatz, siehe den Scan bei Commons]
    Die Wirkung, namentlich des improvisirten Doppelschlags, war so überwältigend komisch, daß Alle in ein schallendes Gelächter ausbrachen – voran Mendelssohn, der vor Vergnügen in die Hände klatschte und dem Posaunenkönig Queißer Bravos zurief. II.525–526 Commons