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zu alt sein, sondern blühend, nicht allein hier und da, sondern am ganzen Stamm. Bei Henri[H 1] kann man getrost die Augen zudrücken. Wie eine Blume duftet und glänzt dieses Spiel zugleich. Seine Leistung ist vollständig, durchaus meisterlich.

Wenn man von Vieuxtemps spricht, kann man wohl an Paganini[H 2] denken. – Als ich diesen zuerst hören sollte, meinte ich, er würde mit einem nie dagewesenen Ton anfangen. Dann begann er und so dünn, so klein! Wie er nun locker, kaum sichtbar seine Magnetketten in die Massen warf,[H 3] so schwankten diese herüber und hinüber. Nun wurden die Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen drängten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie nach und nach wie zu einem einzigen zusammenschmolzen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüber zu stellen, als Eines vom Andern von ihm zu empfangen. Andere Kunstzauberer haben andere Formeln. Bei Vieuxtemps sind es nicht die einzelnen Schönheiten, die wir festhalten könnten, noch ist es jenes allmähliche Verengen, wie bei Paganini, oder das Ausdehnen des Maßes, wie bei anderen hohen Künstlern. Wir stehen hier unvermuthet vom ersten bis zum letzten Ton wie in einem Zauberkreis, der um uns gezogen, ohne daß wir Anfang und Ende finden könnten.

Was nun Louis[H 4] anlangt, so lass’ ich mir ihn als kleinen, feurigen Clavierspieler, der viel Courage und Talent hat, sehr wohl gefallen. Freilich wird der ältere Künstler weder die physischen, noch psychischen Saiten bis zum Springen treiben, weil sie eben reißen. Was

Anmerkungen (H)

  1. [WS] Henri Vieuxtemps (1820–1881), belgischer Komponist und einer der bedeutenden Violinisten des 19. Jahrhunderts.
  2. [WS] Niccolò Paganini (1782–1840), italienischer Violinist, Gitarrist und Komponist. Er begründete den Kult der romantischen Virtuosen-Kult. Schumann bezog sich in seinen Werken 6 Studien op.3 nach Capricen von Paganini (1832); 6 Konzert-Etüden op.10 nach Capricen von Paganini (1833) und Introduktion und Variationen über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester (unvollständig, 1830) auf ihn. Als „Thema“ hat Paganini einen Auftritt in: Carnaval op.9. Scènes mignonnes sur quatre notes, Nr. 17 (1835).
  3. [WS] Vorlage: wirft
  4. [WS] Louis Lacombe (1818–1884), französischer Pianist und Komponist