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Rechtssätze handelt, welche wieder zum Fundament religiöser und sittlicher Wahrheiten dienen. So liegt vor allem in den Opfergedanken ein auch bei den Heiden erkannter und fast allgemein durchgreifender Grundsatz des göttlichen Rechts, daß die Sünde einer Sühne bedürfe, und daß diese durch Stellvertretung möglich sei, ja daß sie notwendig sei, wenn die Sünde vergeben werden und Gnade von Seiten Gottes erzeigt werden solle, und daß sie dadurch geschehe, daß der Stellvertreter, hier das stellvertretende Opfertier, unschuldig (daher ohne Fehl, ohne Wandel, ohne Tadel, 3. Mos. 1, 10) sei, und die von dem Schuldigen verdiente Strafe, den Tod, leide, auch sein Blut vergieße, um dann dem HErrn als wohlgefällige (entsündigte) Gabe dargebracht zu werden. Hieher Lev. 1 ff., besonders Kap. 16, vom großen Versöhnopfer. Hier ist der Gedanke der Stellvertretung und der aufgelegten fremden Schuld und Strafe am anschaulichsten vorgebildet (die 2 Böcke, von denen einer ledig gelassen, der andere geschlachtet wird, v. 7, die Handauflegung mit Sündenbekenntnis: „Da soll dann Aaron seine beiden Hände auf sein Haupt legen und bekennen auf ihn alle Missethat der Kinder Israel und ihn in die Wüste lassen.“ Der andere Bock, auf den das Los fällt, soll zuvor zum Sündopfer geopfert werden; er soll geschlachtet werden als des Volkes Sündopfer und mit seinem Blut der Gnadenstuhl besprengt werden etc.). In dieser Institution und in ähnlichen spricht sich der oberste Grundsatz des göttlichen Rechts, das jus talionis, auf das deutlichste aus. Die Verletzung des göttlichen Gesetzes verlangt durchaus eine Genugthuung, satisfactio, eine adäquate Strafe für die Sünde; diese ist der Tod. Aber in der Strafe an sich liegt nichts Versöhnendes. Wenn der Sünder dem Tode verfällt, so hat zwar Gottes Gerechtigkeit eine Genugthuung; aber weder dem Menschen, noch Gotte ist damit etwas gedient; erst die Stellvertretung eines Unschuldigen, der für einen andern den Tod leidet, bewirkt eine Sühnung und Versöhnung. Die Übertragung der Schuld und Strafe auf ein anderes opferwilliges, aber unschuldiges Subjekt bewirkt Befreiung von Schuld und Strafe bei den Schuldigen: das ist ein zweites Grundgesetz des göttlichen Rechts, welches seine volle Erfüllung und sein volles Verständnis erst in dem freiwilligen und unschuldigen Opfertode Christi findet.

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 Das Opfer hat den Charakter einer Substitution, Stellvertretung. Es vertritt, was der Mensch selbst, in seinem natürlichen Zustande nicht leisten und nicht leiden kann. Beim Opfer kommt ferner nicht allein