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Entwicklung des Sündenlebens, das sich in ungeahnte Satanstiefen verlieren kann (2. Thess. 2). Die verkehrte Natur des Menschen ist voll Verlangen Leibes und der Seele nach Dingen, die überhaupt und eben jetzt zu gewähren wider den Willen Gottes ist (Begehrlichkeit – Lüsternheit, 10. Gebot), und darin liegt eine beständige Versuchung, die von der eigenen Natur des Menschen ausgeht, abgesehen von der Versuchung des Teufels und der Welt (Jak. 1, 14). Willigt der Mensch ein, läßt er sich fangen, so ist die Lust befruchtet, es wird aus der erblichen eine wirkliche Lust (1. Kor. 10, 6), aus welcher die Thatsünde geboren wird als eine Frucht. Solche Thatsünden können auch innerlich verborgen bleiben im Herzen, sie müssen nicht immer äußerlich in Erscheinung treten in Worten und Werken. Daraus ist die Stelle Luthers in den schmalkaldischen Artikeln (Pars III, Art. I, § 2) von den Früchten der Erbsünde zu verstehen (cf. auch Matth. 15, 19: aus dem Herzen kommen arge etc. etc.). Auch unbewußt, wie z. B. im Schlafe, äußert sich die sündhafte Natur; oder auch in wachen Zuständen, ohne daß es der Mensch merkt, wie bei seiner Eigenart, bei seinen Temperamentssünden, daher die unzählige Menge der verborgenen Sünden, Ps. 19.

 Anm. Wie groß und tief die Verderbnis ist, kann man auch daraus erkennen, daß sie hinreicht, uns vor Gott verdammt zu machen, Eph. 2, 3: „Wir waren Kinder des Zorns von Natur“; cf. Aug. Art. II, wo auch die Notwendigkeit der Wiedergeburt daraus gefolgert wird.
 Die Erbsünde findet sich bei allen Menschen, die natürlich geboren werden und ist bei allen Menschen das gleiche Verderben; Röm. 3, 23. Da aber jeder Mensch eine Natur hat, und eine Person ist, die sich von den andern unterscheidet, so gestaltet sich die Erbsünde in jedem Menschen zugleich individuell und so, daß diese oder jene Mängel des Guten, diese oder jene Neigung zum Bösen auch in gewissem Maße leiblich sich forterbt wie eine Krankheit. Wir haben oben behauptet: Sünde befasse auch den sündlichen Zustand selber, abgesehen von den daraus entsprungenen Äußerungen und Willensakten (Sünde „haben“ 1. Joh. 1, 8; 3, 4 im Unterschied von Sünde „thun“). Daß es sündliche Zustände gibt, wird wohl von niemand bestritten, und diese sündlichen Zustände sind wirklich Sünde, da sie die Frucht eines lang fortgesetzten Sündigens sind, des Lasters, sonst könnte man nicht von einem lasterhaften Zustand reden (habitus acquisitus, zugezogen, habitus naturalis, angeboren)[.] Ein Säufer ist ein Säufer, auch wenn er nicht in der Ausübung seines Lasters begriffen ist. Von den pelagianisierenden Richtungen wird nur geleugnet, daß auch der Zustand Sünde sei, welchen wir mit dem Wort Erbsünde zu bezeichnen pflegen, also bei Kindern, die relativ unschuldig sind, während doch von den Vertretern