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gibt St. Paulus im 1. Korintherbrief. Das Leben gibt eine Summe solcher Lebensregeln für jeden einzelnen und für jede Gemeinschaft, von allgemeinen Grundsätzen an bis auf die spezielle Ordnung, wodurch z. B. der Tageslauf geregelt wird. Es muß jeder Mensch eine gewisse Haus- und Lebensordnung haben, wie die Gemeinschaft. Diese ruht auf der individuellen Einsicht in die Zweckmäßigkeit solcher Bestimmungen und auf der individuellen Lebensanschauung und Erfahrung. Es sind selbstgemachte Regeln und Ordnungen, die mehr oder weniger zweckmäßig sind und auf einer inneren Notwendigkeit beruhen. Was für den einzelnen und für die, welche ein gemeinsames Leben führen, die Haus- und Lebensordnung ist, das sind für Vereine und Gesellschaften die Satzungen (Statuten), welche ihr Gemeinschaftsleben normieren, in der Kirche die Kirchen- und Gottesdienstordnungen, welche eine Stetigkeit in das bewegliche Leben bringen. Solchen Gesetzen verbindet sich der Mensch zu freiwilligem Gehorsam und hält sich gewissenhaft daran, doch mit dem Bewußtsein, daß es menschliche Satzungen sind, die Gott gefallen und sittlichen Wert haben.

 Sich ausnahmslos an solche Grundsätze und Ordnungen binden, ist Pedanterie. Unter Umständen, welche die Ausnahme rechtfertigen, muß der Christ auch zeigen, daß er Herr seiner Ordnung ist, und daß er nicht um der Ordnungen und Regeln willen da ist, sondern daß sie um seinetwillen da sind (Marc. 2, 27–28). Aus solchen Lebensregeln und ihrer Übung werden die Gewohnheiten, stehende Formen des individuellen Lebens, die, wenn sie dem höchsten Lebenszweck angemessen sind, mächtige Förderungsmittel des Guten sind. Doch soll der Christ auch Herr seiner Gewohnheiten bleiben, so daß er nicht unbedingt ihnen unterthan sein muß. In Staat und Kirche werden daraus Institutionen, Einrichtungen, Sitten und Gebräuche. Es gibt Menschen der Grundsätze, die nicht anders handeln können als nach Grundsätzen, und zwar so, daß sie dieselben ohne Prüfung der einzelnen Fälle auf alle Verhältnisse anwenden. Das gibt steife Moralisten und Rigoristen. Das Leben ist durch und durch kasuell und fordert eine freie, vernünftige Handhabung der Lebensregeln (St. Paulus, 2. Kor. 1.) Das Maßgebende ist in solchen Fällen das Sittengesetz, und die Aufgabe ist, die besonderen Fälle mit seinem Geist zu durchdringen und dem Sittengesetz gemäß zu gestalten, so daß das Besondere im Leben, vom christlichen Geist durchdrungen, ein Spiegel des allgemein Christlichen ist.