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auch in die Mannigfaltigkeit der Erscheinung eingegangen ist, indem die verschiedenen Beziehungen des Menschen zu Gott, zu sich selber, zum Nächsten und die mannigfaltigen, gottgeordneten Gemeinschaftsformen, denen der Christ angehört, besprochen sind, so würde doch auf diesem Wege nur eine Uniformität der Zustände und des sittlichen Handelns herbeigeführt werden und sähe ein Christ wie der andre aus, wenn er die dort angegebenen allgemeinen Normen auf sein Leben anwendete.

 Es ist aber dem Christentum eigentümlich, und zwar ihm allein, der Individualität des Menschen ihr volles Recht angedeihen zu lassen, nicht zwar in verkehrter Weise, als ob die natürliche Individualität im Bereich der Ethik die Norm oder gar die alleinige Norm abgeben dürfte. Sie muß vielmehr unter die allgemeinen Normen des Christlich-Sittlichen gestellt und durch den Geist Gottes geläutert, gereinigt und geheiligt werden. Es gilt hier das Besondere im christlichen Leben mit dem Allgemeinen zu durchdringen, so daß auch das Individuelle das Gepräge des Göttlichen bekommt und die Individualität der einzelnen das Ebenbild Gottes in individueller Ausprägung, bei jedem Menschen anders und immer in seiner Eigentümlichkeit darstellt. Wie das Licht sich in verschieden Farben bricht und diese in hunderterlei und tausenderlei Übergängen und Mischungen eine ganze Farbenwelt darstellen, so ist es auch hier bei der ethischen Gestaltung des Menschenlebens. Je reicher, je mannigfaltiger und eigentümlicher die Gestaltung ist, desto mehr entspricht sie den Absichten Gottes, dessen ganze Schöpferthätigkeit auf die Ausprägung des Individuellen hingeht und der namentlich die Menschen so mannigfaltig an Art gemacht hat, daß man schon daraus als göttliche Bestimmung für sie entnehmen kann, daß sie die ihnen geschenkte Eigentümlichkeit mit allem Fleiß ausbilden. Nicht mit Unrecht – wenn man die Behauptung auf das Gebiet des natürlichen Lebens beschränkt – bezeichnet daher Steffens in seinem Buche „Die Karikaturen des Heiligsten“ die Eigentümlichkeit des Menschen, d. h. was er auf Grund seiner Naturbeschaffenheit werden kann und soll, als das Heiligste im Menschen und die Pflege desselben als die sittliche Hauptaufgabe des Menschen. Auch Schleiermacher hat das Verdienst, dem Individuellen und Eigentümlichen – wenn er es auch einseitig übertrieben gethan hat – zu seinem Recht verholfen zu haben. Es öffnet sich hier ein großes, weites, wenig oder gar nicht bebautes Feld für die Ethik. Das ist der Inhalt des oben genannten Teils.

 Es wird also bei diesem Teil die Rede sein von der individuellen,