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Menschen, seinesgleichen, hineingesetzt. Er ist zur Gemeinschaft geschaffen und bestimmt und ist ein Glied in dem großem Organismus der Menschheit. Diese Gemeinschaft ist die natürlichste und allgemeinste, sofern er durch die Geburt ein Mensch überhaupt ist; spezieller schon, sofern er Genosse eines Volkes ist, und der geschichtlich gewordenen Gemeinschaft eines Staates, eines Ortes angehört. Etwas von den natürlichen Gemeinschaften Verschiedenes ist die religiöse Gemeinschaft. Die speziellste natürliche Gemeinschaft, sofern sie nur die Menschen seiner Umgebung befaßt, ist die Familie. Darum heißen die Menschen, die ihm zunächst sind, seine Nächsten, was sich dann auf alle Menschen ausdehnt, sofern sie, auch die entferntesten, in irgend welche Berührung mit ihm kommen können, und wenn auch nicht merkbar, doch in Wirklichkeit darin stehen. Die allgemeinste Pflicht, die es hier zu üben gilt, und Tugend ist die Nächstenliebe. Sofern aber der Christ den Gliedern der christlichen Kirche gegenübersteht, wird sie spezifisch Bruderliebe, die sich zur allgemeineren oder Nächstenliebe verhält, wie der engere Kreis zum weiteren (2. Petr. 1, 7). Als Brüder werden in verschiedener Rücksicht bezeichnet und zwar im weitesten Sinn alle Getauften, im engeren Sinn alle Konfessionsgenossen, soweit sie nicht im Banne sind (kirchliche Brüderschaft mit Ausschluß derer, die einer andren Konfession angehören, was bei der Abendmahlsgemeinschaft sonderlich in Betracht kommt); im engsten Sinn diejenigen, die man erfahrungsmäßig als lebendige und wiedergeborene Glieder am Leibe Christi erkennt, wozu nicht bloß die Genossen der eigenen Konfession gehören, sondern auch die dahin gehörigen lebendigen Christen andrer Konfessionen (geistliche Brüderschaft, die anerkannt und bezeugt werden muß, wenn auch beim Sakrament die Brüderschaft nicht anerkannt werden darf um der Wahrheit willen, vgl. Luthers korrektes Vorgehen bei der Verweigerung der Bruderhand Zwingli gegenüber). Daher kommt es, daß man mit solchen, denen man geistlich näher steht als den eignen Glaubensgenossen, doch nicht zum Sakrament geht. Den Unterschied fordert die Liebe, die in der Wahrheit wandelt. – Die Bruderliebe ruht auf der geistlichen Verwandtschaft und unterscheidet sich von der allgemeinen einmal durch das Bewußtsein, daß die Einverleibung in die Gemeinschaft der Heiligen in dem gegebenen Falle nicht mehr bloß in der Hoffnung, daß es geschehen könne, und in der Arbeit der Liebe, die das zu bewirken sucht, stehe und beschafft werde, sondern daß dies bereits Thatsache ist, und daß man auf einem