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Fehler abzugewöhnen. Mein geliebter Frühling sprach wie Polihymnia, und was meine Wenigkeit betrifft, so darf ich mir schmeicheln, daß ich in meiner Rolle höchst glückliche Momente hatte.

Endlich kam der Tag. Die Darstellung sollte um 11 Uhr Vormittags vor sich gehen. Auf 5 Uhr Morgens wird die letzte Generalprobe festgesetzt, und zwar für alle Gottheiten und Engel bis auf die Ewigkeit, welche so früh nicht aufstehen konnte, und bis auf Kronos, der natürlich seiner Sache sehr gewiß war. Ich fand das bereits costümirte Personal vollständig. Der Winter starrte in einem steifgestärkten Mousselinkleide, welches den Schnee bedeuten sollte; als Garnitur des Kleides waren künstlich verfertigte Eiszapfen angebracht. Auf dem Rücken trug er schon von Natur einen kleinen Gletscher. – Auf dem Kleide des Herbstes war hinten und vorn das herrlichste Obst gestickt und gemalt, Reineclaudes, Tafelbirnen und Borsdorfer Aepfel. Der Sommer sah sehr gewitterschwül[1] aus und trug ein kleines Kornfeld auf dem Kopfe. Der Frühling war geschmückt mit einem durchsichtigen Gazekleidchen, hatte ein allerliebstes mit Rosen und Tulpen geschmücktes Strohhütchen auf dem blonden Köpfchen, und hüpfte – das Hüpfen lag in der Rolle! – so zierlich und niedlich, daß man das kleine Füßchen hätte küssen mögen. Ein lieblicher Duft von Hollunder entströmte dem zarten Wesen, das wie ein verkörpertes lyrisches Gedicht aussah. Die Cherubim und Seraphim waren zwar noch etwas schläfrig; da sie aber nichts zu sprechen hatten und außerdem heute mit einer doppelten Ration Milchbrod bedacht wurden, verhielten sie sich im Ganzen mit jenem Anstand, den man von solchen Engeln mit Recht erwarten kann. –

Als ich mich in dieser Generalprobe überzeugt hatte, daß Alles ganz vortrefflich gehen werde, eilte ich nach Hause, um mich anzukleiden. Ich preßte mich in aschfarbigen Trikot, um das graue Alterthum anzudeuten; band mir um das Kinn einen schneeweißen Bart, der mir bis weit über die Kniee herunterwallte, befestigte an den Schultern zwei riesenmäßige Flügel, die ein mir befreundeter Maler höchst kunstreich gefertigt, nahm in die linke Hand ein Stundenglas und in die rechte eine ungeheuere Sense, brachte meine graue, halbkahle Perücke nochmals in Ordnung und stieg in die vor meiner Thüre harrende Droschke.

Der Droschkengaul mußte viel poetisches Gefühl haben; vielleicht stammte er von einer Seitenlinie des glorreichen Pegasus ab; denn er strengte sich trotz seinem sehr vorgerückten Alter außerordentlich an und flog wie eine böse Nachricht schnell durch die Stadt. Noch eine Straße und ich war am Ziele, da biegt der Wagen um eine Ecke, stößt auf einen andern, fährt wider einen Prallstein und sausend fliegt ein Rad los und halbzerschmettert liegt die lebensmüde Droschke auf dem Pflaster. Hätte mich nicht ein befreundeter Genius beschützt, ich würde gewiß nicht die lange Sense schnell von mir geschleudert, sondern mir mit derselben im Sturze vielleicht meinen noch unreifen Kopf abgemäht haben. Mein Schreck war so groß, daß ich, das Stundenglas krampfhaft in der Hand haltend, mich mit zerschmetterten Flügeln aus dem Wagen arbeitete. Ich Unglückseliger! Es war der schönste Frühlingsmorgen und die Nachzügler der Schuljugend gingen gerade mit peripathetischen Schritten der Schule zu. Man kann sich nun leicht den Hallo denken, als mich die Blüthe der Gassenjugend wahrnahm. Ich hätte, wenn mir nur die geringste Besinnung geblieben wäre, den kurzen Weg nach dem Hause des Jubilars einschlagen müssen; statt dessen aber kehrte ich um und schlug den langen Weg nach meiner Wohnung ein. Schon nach einigen Minuten wandelte ich wie ein Komet mit einem ungeheuern Schweif, den das junge und alte, das starke und schwache Geschlecht des Hanshagelthums hinter mir bildete. Man öffnete sogar, von dem einladenden Lärm gelockt, alle Fenster, und ich bemerkte bald, daß ich selbst die Aufmerksamkeit der schönsten, noch in der Toilette begriffenen Damen auf mich gezogen hatte. Das Geschrei wurde bald so fürchterlich und das Gedränge so groß, daß ich mich kaum bewegen konnte. Ich hörte aber trotz dem Lärmen die schlechten Witze, die über mich gemacht wurden.

Durch solche miserable Witze zeichnete sich namentlich ein langer spindelbeiniger Kerl aus. Er munterte das aufgeregte Publikum durch kaustische Reden zu größerer Lebhaftigkeit auf und sagte: „Liebe Kinder, der Kerl in Trikot stellt die Zeit vor. Unter allen erbärmlichen, die ich schon erlebt, ist das die erbärmlichste Zeit. Aber drückt nicht so, liebe Kinder, ihr könntet sonst die Zeit tödten und in der Jugend muß man mit der Zeit vorsichtig umgehen. Die Zeit hier scheint in der Zeit noch sehr zurück zu sein; denn wir haben heut den siebenten Mai und die Zeit meint, es sei heut erst Fastnacht. Drückt nicht so, meine lieben Kinder; denn die Schwingen der beschwingten Zeit sind ja, wie ihr seht, schon zerquetscht genug, und wenn ihr noch mehr drückt, so kann die Zeit gar nicht mehr fort und wird am Ende noch zur Ewigkeit.“ –

O ich hätte aus dem Trikot und aus der Haut zugleich fahren mögen, als ich den langen Wicht, der mir auf den Fersen folgte, so reden hörte. Das Jauchzen, Heulen, Toben und Schreien wurde endlich so heftig, das Drängen, Drucken und Stoßen so unausstehlich, daß ich in einem[2] Anfall von Verzweiflung rechts und links um mich hieb und in ein Haus floh. Aber ich war schon zu sehr der Held des Tages; das süße Publikum vor der Thüre hatte mich schon zu lieb gewonnen, als daß es mich ruhig hätte entbehren wollen. „Zeit, heraus! Zeit, heraus!“ tobte und heulte die Menge. Die Magd, die mich mitleidig aufgenommen, mußte der öffentlichen Meinung nachgeben und ich war wieder im Freien. Zu meinem Glücke griffen mir jetzt zwei humane Polizeidiener unter die Arme und führten mich auf die Wache und zwar mit obligater Begleitung der Crême de la Crême des Stadtpöbels. Auf der Wachtstube betheuerte ich, daß ich gar nicht die vergängliche Zeit wäre, sondern im Gegentheil ein Doctor der Philosophie. Ich bat die Diener der öffentlichen Sicherheit, aus meinem aschgrauen Trikot keinen Verdacht zu schöpfen; ich

  1. In der Vorlage: gewitterschül
  2. In der Vorlage: einen
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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 084. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/88&oldid=- (Version vom 14.9.2021)