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Man sieht, der junge Mann war damals doch nicht so ganz närrisch!

Aber diese Leute bleiben, bei aller noch so ausgebreiteten Bekanntschaft mit Damen, in der Regel ihr Lebelang Junggesellen. Ihr Amt erfordert, daß sie keiner Einzelnen gehören, sondern der Gesammtheit des weiblichen Geschlechts, daher haben sie kein Eigenthumsrecht an einer Einzelnen. Die Opfer, welche sie diesem ausgedehnten Verhältniß gebracht haben, sind nicht gering anzuschlagen; wenn überhaupt, treten sie in der Regel erst spät in ein Geschäft oder Amt, das gewöhnlich untergeordneter Art ist; sehr erklärlich, wenn sie in höhern Jahren fordern, daß die Geselligkeit sie für die Opfer, welche sie in frühern Jahren der Geselligkeit gebracht, einigermaßen entschädige.

Daher werden sie ihr Mittagbrod gern bei dem Kaufmann En, ihren Nachmittagskaffee bei der Rentierswittwe En-En und ihr Abendbrod bei dem reichen Buchhändler En-En-En einnehmen, wobei sie durch einen stillschweigenden Contract verbunden sind, ihre Unterhaltungskünste wie Fontainen spielen zu lassen und die Damen des Hauses in das Theater, in die Concerte, in die Ausstellungen und Verkaufsläden zu begleiten. Die Geburtsfeste von Groß und Klein, die Hochzeiten, die bleiernen, wie die silbernen und goldenen, namentlich die Polterabende bieten ihnen zumal ein Terrain, um zu zeigen, was sie in der Unterhaltungskunst gelernt haben. Die Meisten verbinden mehrere Genre der Unterhaltungskunst; Andere beschränken sich auf dies oder jenes. In bürgerlichen Kreisen spielen sie so ziemlich dieselbe Rolle, wie Gundling oder Taubmann an königlichen Tafeln, nur daß sie keinen fürstlichen Launen ausgesetzt sind und ihrer Talente wegen sogar bewundert werden. Trotzdem sind sie der unterthänige Spielball Aller, weßhalb ihre Natur sehr elastisch sein muß, um nach rechts und links geschickt nachzugeben. Diese nur scheinbar glücklichen Mannequins der Gesellschaft ordnen sich unter folgende Hauptrubriken:


1. Der Neuigkeitskrämer.



Dieser ist nicht bloß das auf zwei Beinen wandelnde Journal und die Chronique scandaleuse der gesammten Stadt, sondern auch des gesammten Herzogthums oder Großherzogthums, ja aller europäischen Höfe, in deren Geheimnisse er, der Himmel weiß wie, eingeweiht ist.

Wäre nur das Viertel von dem, was er ausplaudert, wahr, so hätten wir im nächsten Monat den schönsten Krieg, so wären im Laufe eines Jahres alle Souveräne ausgestorben, (denn da ist nicht einer, den er nicht schon einmal todtgesagt hätte,) so käme in der Stadt auf jeden Tag ein Mord, auf jede Stunde ein Diebstahl, auf jede Minute ein Bankerott oder ein außereheliches Kind. Mögen sich seine Erzählungen auch zwölfmal als Lügen ausweisen, so wird man der dreizehnten Lüge doch mit Verwunderung zuhören und eine Stunde lang Glauben schenken.

Im Grunde sind wir alle Kinder, freilich in die Höhe geschossene Kinder, und wer uns am feinsten täuscht, am künstlichsten durch den schönen Schein belügt, sei er nun Dichter oder Künstler oder Zeitungsschreiber, dem werden wir auch unsern lautesten Beifall zujubeln, gerade wie ich, der Verfasser dieses Narrenspiegels, Demjenigen, welcher mir plötzlich die unerwartete Nachricht mittheilte, ich hätte die Nase und die Stirne des Julius Cäsar, und Alle seien darüber einverstanden, daß ich ein außerordentliches Feldherrntalent befäße. Je mehr ich vom Gegentheil überzeugt wäre, desto mehr würde ich von dieser ganz unerwarteten Entdeckung erbaut sein, wie irgend ein jüngerer dramatischer Autor, dem man, natürlich nur unter vier Augen, gestände, daß sein neuestes Opus alle Tragödien Schillers und Shakspeares weit hinter sich lasse. Es liegt dies in dem dem Menschengeschlechte angeborenem Hange zu allem Wunderbaren und Unerwarteten, während die trockene und nackte Person der Wahrheit in die Hütten sowohl, als in die Paläste mit Gewalt eindringen muß, weil ihr, wenn sie klopft und sich mit ihrer rauhen Stimme anmeldet, gutwillig nicht aufgethan wird.

Der Neuigkeitskrämer erscheint in einer Gesellschaft mit sehr bedenklicher Miene. —

„Sie bringen gewiß etwas Neues?“ fragt ihn der Hausherr.

— „Ja“, antwortet er, „wenn man’s nur sagen dürfte, es klingt zu unglaublich — wer hätte das gedacht?“ —

Die übrige Gesellschaft wird aufmerksam. „Was ist? Was ist?“ fragt man von allen Seiten.

„Um Gotteswillen!“ flüstert der Neuigkeitskrämer zu dem Hausherrn, „Wir haben Alle in Aufruhr gebracht! Die Nachricht ist zu wichtig und nur unter vier Augen mitzutheilen, indeß“ —

„Nun? Indeß“ —


Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/6&oldid=- (Version vom 8.11.2020)