Seite:Fliegende Blätter 2.djvu/32

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Man kann sich nun denken, welche Nahrung Mina in der herrlichen Naturumgebung für ihren poetischen Fanatismus finden mußte. Leider aber fand sie in der Hypochondrie ihres Vaters oft die heftigste Störung für ihren Enthusiasmus. Wenn Mina so recht in dem Ausbruch ihrer Begeisterung war, wenn (um mich bildlich auszudrücken) dem Vulkan ihres Herzens die kühnsten Gefühlsflammen entloderten, da tönte es: „Minchen, gib mir die Pillen!“ oder: „Minchen, reich’ mir die Filzschuhe!“ Solche prosaische Wünsche eines hypochonderischen Gemüthes kühlte wie ein Douchebad die heiße Extase der Blondine, glücklicherweise aber doch nur auf wenige Augenblicke. Mina’s Begeisterung brannte wie das griechische Feuer auch unter dem Wasser.

Mina’s Mutter, eine Frau, wenn auch nicht im weitesten, doch wenigstens vom weitesten Umfange, suchte ihre feste Gesundheit durch die unausgesetzte Thätigkeit ihres Appetits noch mehr zu befestigen. Ihr Strickbeutel war beständig auf eine ganze Woche verproviantirt. Brödchen mit Umständen, Göttinger Wurst, Kuchen, gebrannte Mandeln, Makaronen, Biscuits, kurz: Alles, was das Leben verschönt und versüßt, befand sich in diesem Beutel, und die gute Frau Räthin that ihr Möglichstes, um diese herrlichen Dinger nicht allzusehr altern zu lassen. Sie kam übrigens ihrem Gatten nicht von der Seite, und schützte ihn durch ihre Breite wenigstens theilweise vor verderblichen Erkältungen. Die Frau Räthin kannte indessen nichts Höheres in der Welt, als ihre Tochter Mina. Sie war noch einmal so stolz, wenn sie der begeisterten Tochter in’s Antlitz sah; sie betete in dieser gewissermaßen sich selbst an.

Das vierte Glied dieser seltenen Familie war Edgar, ein langer dürrer rothhaariger Junge, der trotz dem häufigen Turnen auf der Hasenhaide so dünn war, wie eine gespaltene Pechfackel. Seine Beine wären ohne die gewürfelten Hosen gar nicht sichtbar gewesen; er stand so zu sagen auf nichts. Indessen war er als jüngster Sohn der Gegenstand heißer Liebe. Das fünfte Familienglied war Friedrich, der alte Bediente, ein Familienstück, das sich von den Eltern des Justizraths auf diesen fortgeerbt, eine treue, gute, deutsche Haut, zum Diener wie geboren, zum Gehorchen wie geschaffen. – Ich hatte diese Familie in einem Kölner Gasthof kennen gelernt. Ich weiß nicht, ob ich mich ihr, oder ob sie sich mir angeschlossen; genug: wir machten die Reise nach Mainz auf gemeinschaftliche Begeisterung. Mina hatte mich zu ihrem Mitschwärmer gewählt. Kaum waren wir Bonn vorübergereist, als ihr Enthusiasmus erst[1] recht ausbrach. Sie bewunderte, und ich mußte mit bewundern; sie deklamirte, und ich mußte mit deklamiren; sie weinte vor Entzücken, und ich mußte vor Entzücken wenigstens schluchzen.[2]

„Ha!“ rief Mina, als wir Nonnenwerth und Rolandseck vorbeifuhren, „da oben hat jenes ritterliche Gemüth geliebt und gelitten, jenes ritterliche Gemüth, das jeden Morgen hinuntersah,“ „bis die Liebliche sich neigte?“

„Zu dienen, mein theures Fräulein!“ erwiderte ich „ Es war ein frommer, keuscher Ritter, der im Ausland sich durch vieles Fechten einen großen Ruf erworben und im Inland durch seine Liebe die deutsche Balladendichtung bereichert hat. Ritter haben wir zwar noch jetzt; aber wenn sie auch zuweilen fechten, an keuscher Liebe sterben sie nicht mehr.“



„Welche Poesie! Welche Romantik!“ rief Mina begeistert. „Wie herrlich muß es sein, hier zu sterben!“

„Doch noch herrlicher hier von Renten zu leben,“ seufzte ich.

„Große Natur, wie reich bist du!“ rief Mina in der heftigen Feuersbrunst ihrer Extase. „Wie unaussprechlich beseligend ist es, aus dem Born der Natur zu trinken! Mein Herz erweitert sich; mein“ –

„Mein Luftkissen, liebes Minchen,“ unterbrach der Justizrath, und mit erstickter Poesie im Herzen eilte die Tochter das Verlangte zu holen. Als sie zurückkehrte, reichte sie mir eine kleine Phiole mit den Worten: „Sie sind wohl so gut und leisten mir einen Dienst?“

Diese Worte sprach Mina mit einem solch sonderbaren Ausdrucke, daß ich nicht wenig erschrack. Ich glaubte nämlich, sie wolle, daß wir uns aus Liebe zur Romantik ein wenig vergifteten. Ich sah ihr also, ohne zu antworten, starr in’s Antlitz.

„O gewiß,“ lispelte sie, „werden Sie mir meine Bitte nicht abschlagen. O gewiß werden Sie mir den kleinen Dienst erweisen, dessen ich mich in der fernen Heimath stets auf’s dankbarste erinnern werde.“

Der räthselhaften[3] Rede endliche Auflösung war, daß ich das Fläschchen mit Rheinwasser füllen sollte. Ich mußte mich dieses Auftrages vor ihren Augen entledigen, und als das Fläschchen mit dem heiligen Naß in ihren Händen war, küßte sie es und verbarg es in ihren keuschen, blauumhüllten Busen.

Ich muß gestehen, daß diese unbändige Gefühlsschwelgerei, dieses ewige Uebersetzen der prosaischsten Dinge in sublime Poesie mir endlich höchst lästig wurde, so daß ich froh war, als ich bei Andernach eine schickliche Gelegenheit fand, mich wenigstens auf eine kleine Weile an den andern Theil des Bootes zu begeben. In Andernach stiegen nämlich zwei Verwandte der justizräthlichen Familie ein, und so riß mich der glückliche Moment des Wiedersehens aus den Klauen unbarmherziger Begeisterung.

  1. In der Vorlage: enst
  2. In der Vorlage: schuchzen
  3. In der Vorlage: räthelhaften
Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 028. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/32&oldid=- (Version vom 20.8.2021)