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Nro. 41.
17. II. Band.
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Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.
(Fortsetzung.)


Nach und nach vergaß Meister Thomas seine Noth, die dicke Hausfrau, die Gauner, kurz Alles, was ihn sonst härmte; er sang und zechte wacker mit den lustigen Burschen, denen seine muntern Schwänke und witzigen Reden Beifall entlockten. Im Taumel der Begeisterung machte er Liedlein von Liebe und Wein, und sang sie nach eigener Melodie auf eine höchst rührende Weise, zumal da seine Stimme ganz rauh und heiser durch das lange Fasten geworden, und außerdem fürs Singen wenig geeignet war. Auf das allgemeine Dringen der Gesellschaft mußte er seinen bisherigen Lebenslauf erzählen. Nach einigem Räuspern begann er folgendermaßen:

Wenn die Herren meinen, dass ein großer Geist nicht in Elend und Noth gerathen könne, so lehrt die Geschichte gerade das Gegentheil. Wenn wir ihre inhaltsschweren Blätter aufschlagen, so sehen wir schon in den Urzeiten, ich möchte fast sagen in der Kindheit des Menschengeschlechtes den göttlichen Homer, trotz seiner Talente, die ihn vielleicht zu einem Nestor oder Odysseus gemacht hätte, mit seiner Harfe im Arme das Land durchstreichen, und ums liebe Brod singen, auf den Hochzeiten und Kirchweihen und Jahrmärkten der griechischen Bauern. Gehen wir weiter, meine Herren, so finden wir im Lateinerland unter dem vielgepriesenen Augustus einen Dichter, der, wenn auch nicht ausgezeichnet, doch einzig in seiner Art, den schwärmerischen Naso, welchen der Haß und die Rache des Tyrannen, ob mit Recht oder Unrecht, das lasse ich dahingestellt sein, in die wüsten Gegenden des schwarzen Meeres verwies. Man lese seine Trauerlieder; man fühlt seinen Schmerz, seine Klagen, man sieht den Mann, gewohnt des milden Klimas, im Schnee des Nordens zittern, man sieht ihn hinschwinden und ermatten an Körper und Geist; seine Saiten sind verstummt, seine Sinne sind krank aus immerwährender Sehnsucht nach der Heimath, nach dem treuen Weibe, nach dem Töchterlein, nach dem heimischen Herde. Hätte ich die Gabe der unerschöpflichen überraschenden Gleichnisse, der spielenden Witze, des tönelnden schwebenden Ganges der Verse, die Gabe, Alles darstellen zu können, das Hohe wie das Niedrige, ich wäre zufrieden. Lassen wir ihn ruhen im Lande der Barbaren und gehen einige Säcula weiter. Wir sehen den alle Herzen erschütternden Sänger der Hölle, des Fegfeuers und des Himmels, irrend von Land zu Land, verstoßen und verbannt, von der Gnade launischer Fürstlein lebend. Ich will nichts sagen von Tasso, den sie Jahre lang als toll ins Irrenhaus sperrten; ich will nichts reden vom einhändigen Verfasser des Ritters von der Mancha, noch vom weitgereisten Sänger der Lusiade, der in den Straßen zum Betteln gezwungen war, dem armen Camoens; aber unsre großen Geister will ich betrachten, unsre Helden der Literatur durchgehen. Wer hat uns schönere, wer anmuthigere Gedichte geliefert, als Bürger, der edle Bürger, dem sie rauben wollten den Namen eines Volksdichters, und doch singt heut zu Tag noch das Volk die Lieder, die er gedichtet; er aber litt Mangel an Allem, als das Alter ihm nahte, obgleich viele Schuld auf seine eigene Rechnung fallen mag. Und Hölty, der sanfte gutmüthige Jüngling? ich will schweigen von ihm. Aber Schiller? er, den die eine Hälfte Deutschlands zu den Sternen hob, dessen Werke meines Lobes nicht bedürfen, litt sein ganzes Leben hindurch Mangel, und als kurz nach seinem Tode ein kunstliebender Fürst die Asche des Frühverblichenen besuchen wollte, wußte keine Seele ihm die Stätte zu zeigen, wo die sterbliche Hülle moderte. — O Weltundank, du bist groß! Und Sie meine Herren, Sie können sich noch wundern, daß ein großer Geist widrige Schicksale erdulden muß, daß er zu kämpfen hat mit Noth, Entbehrung, Mangel, kurz mit allen möglichen Uebeln? Ich wundere mich nicht, sondern freue


Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/133&oldid=- (Version vom 12.1.2024)