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zu der ganzen Geschichte das Geld hergiebt, aber der Tebel hole mir, das ist recht großmüthig geredet, das Geld giebt der Publikus her, der sich dafür unterrichten und anlügen läßt und der Herr Verleger streicht am meisten das Geld ein.

Das waren so die Gedanken in meinem dummen Kopfe, als ich, mit einem Korb voll Holz auf dem Rücken, die Treppen hinaufstieg. aber fast wäre ich droben gleich wieder umgekehrt, denn da hing eine große Tafel mit goldenen Buchstaben:

manicula Damit der Geschäftsgang nicht gestört wird, darf
hier Niemand vor 12 Uhr eintreten. manicula

Aber immer drauf los, ich hinein und meine Sach besorgt. In einer Stunde war Alles geheizt, ausgefegt, aufgeschnitten (das Aufschneiden ist nämlich die Hauptsache, damit es schnell vorwärts geht mit der Zeitungsmacherei!) wie’s so nach und nach von der Post oder wer weiß woher sonst noch ankam, und eine Hitze in den fünf Zimmern, daß man einen Ochsen hätte braten können. Na es sah da ziemlich grusterich aus: nichts als ein Paar Stühle, Tische, Pulte, Wandbörter, alles voll Zeitungen und Bücher gepackt. Jetzt kamen die Herren Zeitungsschreiber angewackelt, einer nach dem andern; es mochten wohl so ein Dutzend bei einander sein, aber der Tebel hole mir, ich kann’s nicht sagen, ob alle wirklich auch dazu gehörten oder ob nicht einige sich nur zum Spaß bei uns herumgetrieben. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Einige von den Herren benahmen sich wie ehrbare Leute, machten sich’s bequem mit Schlafrock und Pfeife und gingen gleich an die Arbeit; die meisten aber waren so junges Volk mit Schnürröcken und Brillen auf der Nase. Die stührten in den Zeitungen und Briefen oder rekelten sich am Ofen, schwatzten von ihrem Saufen und Tanzen gestern Abend und was sie Neues gehört und gesehen hatten, und dann lief einer mal hin zum Pult und schrieb ein paar Worte, las sie den Anderen vor und legte es zuletzt dem Herrn Direktor auf’s Pult. Der Tebel hole mir, es war ein Geschrei und Durcheinander, daß man sein eigen Wort nicht verstehen konnte.

Jetzt trat der Herr Direktor ein, mit einem Pack Briefe und geschriebene und gedruckte Papierstreifen in der Hand. Er grüßte Alle sehr wichtig, warf das, was er in der Hand hielt, auf den Boden, las die Zettel auf seinem Pulte und warf sie auch auf den Haufen, daß ich, der Tebel hole mir, schon dachte, all das Geschrei und Arbeit wäre umsonst gewesen. Aber auf einmal schrie der Herr Direktor in ein Sprachrohr in der Wand: Abholen! und gleich daran kam mein Freund, der Herr Factor, mit drei bis vier baarfüßigen Druckerjungen anmarschirt und ließ den ganzen Zettelkram in die Druckerei tragen. Er stellte sich aber eine Weile zu mir hinter den Ofen, um sich etwas durchzuwärmen. Der hat mir’s nun Alles ordentlich erklärt und wir waren ganz ungestört, denn der Lärm wurde jetzt noch größer, weil Alle zugleich mit dem Herrn Direktor reden wollten, der Tebel hole mir, ich hätte fast dazwischen geschrieen: Singen können viel auf einmal, aber reden nur Einer! Allein ich dachte daran, daß ich hier zehn Thaler monatlich hätte und was deines Amtes nicht ist, da laß deinen Vorwitz, und so hörte ich denn still zu, was der Herr Factor vorbrachte. Sieht Er, sagte er, die langen geschriebenen Zettel, das sind die leidenden Artikel, die handeln davon, was man nicht glauben sollte, aber doch wahr ist; die kleinen aber –

Ih, sagte ich, woran leiden sie denn? – so nem Zettel wird doch kein Mensch was zu leide thun? –

Sieht Er, sagte er, die haben viel zu leiden, denn die werden so oft „gestrichen“ wie ein russischer Rekrut. Der Verfasser streicht sie heraus, der Herr Direktor streicht sie an, der Censor streicht sie durch. Doch das versteht Er nicht, aber sieht Er, sagte er, die kleinen Briefe und die Zettel, welche die Herren meist aus den Zeitungen herausschneiden, das sind die Correspondenzen oder auswärtigen Berichte, in denen steht, was man glauben soll, was aber doch nicht wahr ist. Sieht Er, sagte er, das sollte Er einmal mit ansehen, in Wien und Berlin, Cöln und Frankfurt die Studentle, wie sie da Abends im Bierhaus zusammensitzen und sich gegenseitig anlügen und dann setzt sich Einer hin und schreibt: ,,In den bestunterrichteten Kreisen der höheren Gesellschaft herrscht das Gerücht u. s. w.“ oder gar: „Als Augenzeuge kann ich Ihnen berichten etc., und so lügt er den Herrn Direktor an und der lügt wieder das Publikum an und das Publikum lügt sich wieder gegenseitig an aus der Zeitung, und Alle kriegen dafür bezahlt – nur das Publikum nicht. Davon heißt’s gelogen, wie gedruckt.

Auf einmal wurde es ganz still in der Zeitungsschreiberei, denn der Herr Direktor drehte sich herum auf seinem Hocker und schaute die Herren Einen nach dem Andern curios an.



Sieht Er, sagte er, nämlich der Factor, leise zu mir, jetzt kommt das Beste. Jeder von den Herren da hat „eine Ansicht.“ Weiß Er, was das ist? –

Der Tebel hole mir, sagte ich, ich weiß es nicht, wenn’s was besonders sein soll.

Schadt nix, sagte er, die Herren wissen’s auch oft selbst nicht. Sieht Er, sagte er, Ansicht, das ist so die Manier, wie man die Sache ansieht, und das hängt davon ab, wie man steht, sitzt oder gestellt ist. Einige von den Zeitungsschreibern stehen sich gut, einige schlecht, einige sitzen, die anstelligsten Ansichten giebt das Anstellen. Die Ansichten sind oft sehr verschieden, allein – –

„Der Herr Factor soll die Correktur machen!“ brüllte es auf einmal aus dem Sprachrohr in der Wand. Der Factor machte, daß er hinauskam.

„Meine Herren, sagte der Herr Direktor, der Ruf unserer Zeitung steht auf dem Spiele, es fehlt uns heut an interessanten Correspondenzen. Also fordere ich Sie zu außerordentlichen Anstrengungen auf! – –“

„Der Tebel hole mir, dacht’ ich, haben die sich denn schon angestrengt? –“

„Herr Nebelreiter,“ fuhr der Direktor fort, ,,berathen Sie sich mit Herrn Mäusefresser. Sie sollen vom Cap der guten Hoffnung etwas Unwahres über den Carlsruher Zollcongreß und letzterer Herr dagegen die Wahrheit aus England schreiben. Sie wissen aber, für Inländisches interessirt sich nur ein kleiner

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/110&oldid=- (Version vom 14.9.2022)