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erzählen, was man von der Lafrenger-Anna weiß. Findet sie Jemand zufällig bei diesem Geschäfte, und frägt, wozu sie die Kränze binde, so antwortet sie: „Die Krönlein gehören für die zwölf Apostel und einer für die Mutter Gottes;“ – auch andere Heilige und selbst den lieben Herrgott beschenkt sie zuweilen mit solchem Schmucke aus Unkraut und Dorngeäst. Vorzugsweise sind es aber die zwölf Boten und die Himmelmutter, denen sie die Zierden zuspricht, und fast immer findet man wohlgezählet dreizehn Kränze an den Kirchpforten – Ich habe die Lafrenger-Anna nie gesehen, aber man hat sie mir beschrieben als ein gewöhnliches altes Weiblein, so armselig aussehend, wie alle die verkümmerten Ing’häusen[1] in den überetscher Höfen, etwa nicht allzuhäßlich und hexenhaft, sondern mehr betschwesterlich scheu, – ihren Irrsinn nur verrathend in der Verworrenheit ihrer Rede, nicht einmal durch den Blick eines wunderlich klaren, lichten Auges. Ueber den Grund der Geisteskrankheit, an der sie leidet, seit die Leute in Eppan sie kennen, gibt es nur unsichere Gerüchte, – es läßt sich indessen so ziemlich ein Zusammenhang errathen.

Anna war nie verheirathet, so viel weiß man bestimmt, – aber sie brachte doch, als sie das erste Mal „in der Deutsch“ herab ging, wie die Bewohner jener Gränzdörfer das Etschland nennen zum Gegensatze des Nonsberges, wo es ihnen „in der Wälsch“ heißt, – ein Kind von wenigen Wochen mit sich. Mit ängstlicher Scheue verbarg sie sich damals, so weit es ihr möglich war, vor allen Menschen, – verbrachte wahrscheinlich lange Tage in den Hochwäldern, übernachtete heimlich in offenstehenden Scheuern, und kam sie in ein Haus, um zu betteln, so verhüllte sie das Kind mit alten Lumpen bis über das Gesichtlein, als sollte es Niemand sehen, und darnach befragt, erwiederte sie heftig: „Ein Kind, – wo? – Ich habe kein Kind! – s’ist nicht wahr, was die schlechten Leute mir aufbrachten, das Kind – da – es ist nicht von mir! ich habe keines.“ Einmal kam Anna wieder in einen Hof und bettelte um einen Bissen Brod mit dem sorgsam bedeckten Kinde. Die Bäurin ward aber neugierig das Würmlein der Betteldirne zu sehen, und ob sich auch diese dagegen sträubte, hob sie das Tuch von des Kindes Gesicht. Das aber war bleich und eiskalt, die Aeuglein waren gebrochen, die blauen Lippen offen und verzerrt, kein Athem kam daraus hervor.

„Jesus Maria“ – schrie jetzt das Bauernweib – „das Kind ist ja todt! schaut nur selber, – es hat ja keinen Athem mehr, und die Wänglein sind völlig schwarz, – das ist schon lange todt!“ –

Anna blickte die Jammernde verwundert an, – dann sagte sie: „Todt? – ach wohl nicht? – s’schlaft nur all’m fort, weil es hungrig ist und müd vom Schreien.“

„Ja müd und hungrig“ – lärmte die Andere dagegen – „verhungert wohl, – so müßt ihr sagen. Aber um Gottes willen, – Mensch – habt ihr denn nicht gemerkt, wie’s um das arme Hascherle steht? – Es so gleichgültig zu Grunde gehen zu lassen! Seid ihr seine Mutter, ist’s denn nicht euer Kind?“ –

„Mein Kind? – Nein, – nein,“ lautete die hastige Antwort Anna’s.

„Nun denn, – so bringt mindestens das verstorbene Heiterlein zu den Raben-Eltern, die es einem so unsinnigen Unthiere anvertraut haben wie euch, damit sie’s christlich begraben lassen. Das Kind tragt ihr da wohl schon ein paar Tage todt herum! Es ist grausam! Geht – macht euch durch! Mir wird völlig übel. – Nein so zu thun mit einem armen unschuldigen Kind!“

„Was hab ich ihm denn angethan?“ fragte Jene hinwieder, – „s’schlaft ja recht gut und gesund und wird wohl wieder aufwachen, wenn es genug geschlafen hat!“

„Schlafen – aufwachen, – wenn’s todt ist! – Hört ihr’s denn nicht? Gestorben ist das Häutl, todt – maustodt ist es, und wird nimmer lebendig bis zum jüngsten Tag.“

Plötzlich horchte Anna mit aller Anstrengung aus die Worte der Bäurin. Sie schien verworrene Gedanken und Begriffe in ihrem Kopfe gewaltsam ordnen zu wollen, denn heftig und zu wiederholten Malen fuhr sie mit der Hand über ihre Stirne – auch ward sie bleicher und bleicher, und athmete kurz und schwer, bis sie zuletzt stammelte:

„Nein, – nein, – s’ist nicht todt! s’lebt schon noch! – Gelt’s ja Bäurin, – es lebt schon noch – mein Kind!“

Kalte Schweißperlen träufelten ihr von der Stirne nieder auf das Gesichtchen des todten Kindes, zu dem sie sich

  1. Ing’häus – Insass, – Miethsmann.
Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/86&oldid=- (Version vom 28.5.2019)