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Die ehrsame Zunft der Steckenreiter.


Es gibt kleine Leidenschaften, welche zwar nicht großen Zwecken entsprechen, aber doch große Summen absorbiren. Adamskinder, welche mit ihnen behaftet sind, stehen zu einander in einem gewissen Rapporte; sie suchen sich und erkennen sich unter Tausenden; aber sie sind auch aus Tausenden leicht kenntlich. Es liegt etwas Zünftiges in diesen kleinen Leidenschaften, auch wenn sie sich nicht vom Vater auf den Sohn forterben, wie Realgewerbe. Jede derselben bildet unter ihren Anhängern eine Gilte; – unter einer höheren Einheit subsumirt entsteht sodann die große Zunft der Steckenreiter. – Einige Exemplarien aus dem Leben, welche wir unserm freundlichen Leser vor die Augen führen wollen, mögen als Begriffserläuterung dienen.




Der Horologiophile.



Es gibt Liebhabereien, welche durch ihre schlichte Bezeichnung ihre Lächerlichkeit verrathen. In solchen Fällen kommt eine aus fremder Sprache entlehnte Terminologie sehr zu Statten, sie mag noch so barbarisch klingen. Horologiophilos heißt eigentlich Uhrenfreund. Aber unser Zünftiger hat humaniora studirt, und liebt einen technischen Ausdruck für seine Leidenschaft. Er ist auch viel zu sehr Kosmopolit, als daß ihm die deutsche Bezeichnung genügen könnte. Dieß entnehmen wir schon aus der Ornamentik der Prachtexemplarien seiner Sammlung. Da kräht stündlich der gallische Hahn neben dem russischen Adler, und mitten inne spielt ein vielstimmiges Uhrwerk in einem Kästlein mit altdeutscher Architektonik die bekannte Weise: „War Einer, dem’s zu Herzen ging etc. In seinen Lieblingsgedanken hat unser Steckenreiter einige Aehnlichkeit mit Karl dem V. Er möchte es so weit bringen, daß all’ seine Uhren auf einen Schlag gehen. Aus dem Grunde treibt er auch Mechanik und Mathematik, und ist hiebei unter Anderem zu dem rechnerischen Resultat gelangt, daß die Zinsen des auf seine Sammlung verwendeten Kapitals zusammt den Reparaturkosten nicht so viel ausmachen, als ihm eine standesgemäße Frau kosten würde. Der Horologiophile ist demnach Hagestolz aus Grundsatz. Er findet kein Weib, welches so pünktlich geht wie seine Uhren. Das Picken der Perpendikel ist ihm die angenehmste Musik, die einzige Sprache, die zu seinem Herzen spricht. Das Meisterwerk seiner Sammlung ist eine Uhr, auf welcher ein Constabler die Stunden kündet durch die Anzahl Prügel, womit er einen vor ihm liegenden Bauern Sitte lehrt.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/82&oldid=- (Version vom 31.7.2018)