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Des Arztes Traum.



Was mir ein Arzt erzählte
Von einem Traume bang,
Ich euch zum Lied erwählte,
Hört freundlich den Gesang!

5
Er sprach: ich denk mit Schauern

Stets an den tollen Traum;
In eines Kirchhofs Mauern
Saß ich an einem Baum.

Kein goldner Vollmond schiffte

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Durch’s stille Rebenthal,

Es zuckte durch die Lüfte
Entfernter Blitze Strahl.

Ich aber saß beklommen,
Als drohte noch was mehr,

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Sprach: wie bin ich gekommen

Um Mitternacht hieher?

Ich seufzte und ich grollte,
Da hör’ ich dumpfes Schall’n
Als ob die Erd’ entrollte

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Den Grabeshügeln all’n


Der Mond aus Wolkenbergen
Auf einmal strahlend bricht,
Da seh’ ich, wie aus Särgen
Steigt Leich an Leiche dicht.

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Die lenken ihre Schritte

Gerade auf mich zu,
Ich aber rief: ich bitte,
Ihr Todten! kehrt zur Ruh!

Schnell will ich mich erheben,

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Gebannt blieb ich am Baum,

Die Leichen zu mir schweben. –
O nie vergess’ner Traum!

Die erste wie im Grimme
Hebt auf die schwarze Hand,

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Und spricht mit hohler Stimme:

Mein Tod war heißer Brand,

Du aber hast gestecket
Moschus in mich hinein,
Die Gluth noch mehr gewecket,

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Der Tod half mir allein.


D’rauf mit den Knochenhänden
Die zweite weis’t auf’s Herz:
Und spricht: so mußt’ ich enden
Hier innen saß mein Schmerz.

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Du aber gabst mir Pillen

Und Tränke für die Brust,
Mein Leiden hat zu stillen
Allein der Tod gewußt.

Die dritte kommt geschritten

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Und streckt mir hin ihr Bein:

Hätt’st du dieß abgeschnitten,
Würd’ ich noch lebend sein.

Doch du auf meine Klagen
Sprachst: Jod und Leberthran

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Heilt dich in wenig Tagen, –

Der Tod nur hat’s gethan.

Die vierte mit dem Kopfe
Stets nickte hin und her:
Wie war mir armen Tropfe

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Im Leben der so schwer!


Hätt’st Wasser mir gegeben
Statt China immerdar,
So wär’ ich noch am Leben –
Der Tod mein Helfer war.

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Jetzt kommt die fünfte Leiche

An Krücken zu auf mich.
Ich kenne sie, rief: weiche!
Die Erde decke dich!

Fort! fort! sie deck’ euch alle

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Ihr Todten! fort vom Licht!

Da ruft’s mit grellem Schalle:
Arzt! mit dir in’s Gericht!

Nun kommt der Tod gegangen:
Die Leichen singen: „Tod!

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Mit Kränzen sei umfangen.

Du Retter aus der Noth!

Preis Arzt dir, der gefunden
Den Balsam Grabesruh;
Du bandest unsre Wunden

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Sanft mit dem Sargtuch zu.“


Und jetzt an mir vorüber
Schwebt Tod und Leichenchor,
Schnell wird der Himmel trüber,
Das Mondlicht sich verlor,

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Zum Baum, wo meine Stätte.

Ein Blitzstrahl niederkracht,
Davon bin ich im Bette
Vom tollen Traum erwacht.




Justinus Kerner.


Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/169&oldid=- (Version vom 29.12.2019)