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Der Gourmand.


Einem alten Gourmand im Traume
Erschien die bessere Welt,
Ein Jeder träumt sie wohl anders,
Die seine war so bestellt:

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Da liefen gebratene Hasen

Auf einem Feld von Salat,
Da strichen geschmorte Fasanen
Auf sauerkrautener Saat,
Da sah aus porcellanenen Auen

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Gesulzter Keuler Haupt,

Und Rostbeef war zu schauen,
Die Stirn mit Lorbeer umlaubt.
Manch’ Bächlein von Oel und Essig
Erglänzte in rosigem Schein,

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D’rinn schwammen gesott’ne Forellen

Und tauchten sich Saiblinge ein.
Da hingen von duftenden Bäumen
Citronen und Austern zugleich,
Und waren die üppigsten Spargel

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Das Gras im Pflanzenreich.

Da sah man romantische Felsen
Von Punsch à la glaçe geballt,
Von Champignons manch’ Wäldchen,
Von Morcheln manchen Wald.

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Und mitten durch die Landschaft,

Da floß ein breiter Po,
Der war von lauter Purpur,
Burgunder und Bordeaux,
Und d’rüber eine Brücke

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Von Mandelteig gebaut,

Die führte zu einem Schlosse,
Wie man’s wohl selten schaut.
Es war ein riesenhaftes
Strasburger Pastetenhaus,

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Die Gänselebern und Trüffel,

Die sahen zum Fenster heraus.
Das Dach mit rothen Krebsen
Und Hummern war gedeckt,
Indianische Vogelnester,

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Die hatten sich d’runter versteckt.

Und rings erbrausten Fontainen
Von gold’nem Champagnerwein,
Und murmelten frische Quellen
Von Markobrunner d’rein.

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Ein Riese stand an dem Thore,

Johannisberger genannt.
Er scherzte mit einem Mamsellchen,
Gar männiglich bekannt,
’War Fräulein Anisette,

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Das niedlich süße Kind,

Und stutzten noch in der Gesellschaft
Drei Pagen von spanischem Wind. –
Und wie er nun all’ diese Fülle
Mit Kennerauge erblickt,

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Da pries er der Seligen Wonne,

Und war zum Himmel entzückt.
Und plötzlich ertönt eine Stimme,
Und sagte, dein sei diese Welt,
Doch Ein’s mußt zu nennen du wissen,

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Was ihrem Schmucke noch fehlt.

Da rief er, berauscht von dem Glücke,
(Längst hatte er d’ran gedacht)
Goddam! Téte de veau ist die Lücke!
Er rief’s – und ist d’rüber erwacht.


Fr. v. Kobell.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/145&oldid=- (Version vom 21.5.2018)